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Ingelheim unter pfälzischer Herrschaft (14. bis 18. Jahrhundert)


Autor: Hartmut Geißler

Das Standardwerk zur Geschichte der Kurpfalz ist das gleichnamige zweibändige Werk von Meinrad Schaab.

Viele erhellende Aufsätze findet man auch im Begleitband zur Wittelsbacher-Ausstellung in Mannheim 2013: "Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?" Hgg. v. Jörg Peltzer u.a. Regensburg 2013

 

1. Zur Vielfalt der Pfalzbegriffe

Kohnle (S. 11 f.) unterscheidet folgende drei Pfalzbegriffe mit unterschiedlichem Gebrauch durch die Jahrhunderte:

- den dynastischen Pfalzbegriff, wobei "Pfalz" die Familie der bayrischen Wittelsbacher bezeichnet, aus der seit ca. 1214 die Pfalzgrafen bei Rhein stammen

- den territorial-politischen Pfalzbegriff, der unter der "Pfalz" das versteht, worüber die Wittelsbacher regierten, also ihre Territorien (sprachlicher Gebrauch seit 1228 nachweisbar)

- den geographischen Pfalzbegriff, der unter der "Pfalz" eine Landschaft verstand bzw. versteht, die früher schwerpunktmäßig rechts des Rheines um Odenwald, Bergstraße und Neckar (Heidelberg, Mannheim) lag, linksrheinisch um Alzey, Kaiserslautern und Neustadt/Weinstraße, am Mittelrhein um Bacharach und Kaub, heute aber fast nur mehr im Süden des Bundeslandes "Rheinland-Pfalz" so genannt wird, abgesehen von der heute bayerischen "Oberpfalz".

Unten: Gebiete der "Kurpfalz" am Rhein in Auswahl aus dem digitalen "Pfalzatlas" der Universität Heidelberg; der Ingelheimer Grund liegt grün und gelb am Rheinknie im Ausschnitt der 2. Detailkarte.

 

In Ingelheim haben wir auch eine "Pfalz", nämlich das "palatium", ein repräsentatives Regierungsviertel aus karolingischer Zeit, mit der Aula Regia, dem Halbkreisbau und dem Nordflügel. Es gibt also in Ingelheim eine "Pfalz", die lange Zeit zur (Kur-) "Pfalz" gehört hat, aber nicht in der heute so genannten "Pfalz" liegt, dem südlichen Teil von Rheinland-Pfalz. Das verwirrt so manchen Besucher der INGELHEIMER  KAISERPFALZ.

Die lateinischen Begriffe palatium (Pfalz) und palatinus (pfälzisch), die ursprünglich für die Stützpunkte und Versammlungsorte des Reisekönigtums im Frühmittelalter gebraucht wurden, verschwanden aber im Verlauf des 9. und 10. Jahrhunderts völlig aus der Sprache der Urkunden und Chroniken (Beginn schon bei König Arnolf). Vielleicht fanden sie deshal auch in Ingelheim keinen Eingang in die Volkssprache.

Zur Geschichte der Pfalzbegriffe vom Mons palatinus in Rom bis zum Palzwoi siehe hier!


Am merowingischen Königshof gab es ein Hofamt, den Comes palatii, den "Pfalzgrafen". Der Begriff palatium wurde dabei aber nicht lokal verwendet, etwa für Königsresidenzen, sondern übertragen-personal als (Königs-) Hof.

In einer Familie, den sog. Ezzonen und Hezzeliniden aus dem niederrheinischen Raum zwischen Köln und Aachen, der damals zu Nieder-Lothringen gehörte, wurde um das Jahr 1000 herum dieser Titel "Pfalzgraf" erblich. Ein Ehrenfried ("Ezzo"), der Mathilde, eine Schwester Ottos III., geheiratete hatte,veranstaltete im Jahre 1025 in Aachen einen Hoftag des gesamten lothringischen Adels (Schaab, S. 18-20). Später ging der Titel mit seinem Besitz auf andere Familien über, auch auf Mitglieder der Staufer und der Welfen.

Der territoriale Schwerpunkt dieser rheinischen Pfalzgrafschaft verlagerte sich dabei vom Niederrhein über die Eifel und die Mosel (Cochem) an den Mittelrhein (Bacharach mit Burg Stahleck) in die Gebiete von Hunsrück und Neckar, also in die später so genannte "Rheinpfalz".

Im 15. Jahrhundert stieg diese Kurpfalz zur beherrschenden Macht im Oberrheinraum auf, sie beherrschte Territorien von der Ortenau bis an den Niederrhein, auf beiden Seiten der wichtigsten Verkehrsader im Westen des deutschen Reiches, des Rheines. Wenn man damals "Pfalz" sagte, dachte man nur an diese Kurpfalz, nicht etwa an Regierungsgebäude in ländlichen Königshöfen karolingischer Zeit. Es wäre deshalb völlig unsinnig gewesen, die Reste des Ingelheimer palatiums in dieser Zeit der vierhundertjährigen Zugehörigkeit Ingelheims zur Kurpfalz auch "Pfalz" zu nennen.

Näheres dazu bei Stefan Weinfurter in Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter.


2. Die Wittelsbacher als "Pfalzgrafen"

Die Familie der Wittelsbacher taucht erstmals 1079 in Quellen auf mit Otto I., dem Grafen von Scheyern, dessen Stammsitz südwestlich von Pfaffenhofen an der Ilm lag. Seit 1115 nannten sich diese Grafen nach ihrer neuen Burg Wittelsbach bei Aichach "Pfalzgrafen von Wittelsbach". Sie hatten aber noch nichts mit der Pfalzgrafschaft am Rhein zu tun.

Wahrscheinlich im Jahre 1214 (mit unklarer Quellenlage; siehe Schneidmüller in "Die Wittelsbacher") übertrug der Staufer Friedrich II. dem bayrischen Wittelsbacher Ludwig, dessen Vater Otto schon 1180 von Barbarossa das Herzogtum Bayern anstatt des abgesetzten Welfen Heinrich des Löwen bekommen hatte, zusätzlich die Pfalzgrafschaft am Rhein. Von daher rührt das Wappen der Rheinpfalz, das aus der Wittelsbacher blau-weißen Raute und einem Löwen im Herzschild des Wappens besteht.

Streitigkeiten um die Aufteilung des bayrischen und rheinpfälzischen Besitzes wurden unter König Ludwig dem Bayern im Hausvertrag von Pavia (1329) geregelt:

- Die Wittelsbacher Territorien wurden unter die Linien der "Pfalz" und Bayern aufgeteilt, die "Oberpfalz" (heute ein bayrischer Regierungsbezirk östlich von Nürnberg) kam an die rheinische "Pfalz", die sie jedoch nach dem Dreißigjährigen Krieg an Bayern verlor.

- Beim Aussterben eines Familienzweiges sollte ein anderer in festgelegter Reihenfolge an seine Stelle treten, und das Kurrecht sollte abwechselnd ausgeübt werden; letzteres wurde aber nicht praktiziert, weil es unter Karl IV. in der Goldenen Bulle von 1356 allein den Pfalzgrafen bei Rhein zugewiesen wurde, was die bayerischen Wittelsbacher freilich nie akzeptierten.

Im Laufe der Zeit ergaben sich vier Familienzweige der Pfälzer Wittelsbacher, deren Kurfürsten von Frau Köhler übersichtlich dargestellt sind. Man sollte diese Genealogie am besten ausdrucken und bei der Lektüre der Pfälzer Themenseiten zur Hand haben.

1. die alte Pfälzer Linie (Pfalz-Heidelberg)
2. die Linie Pfalz-Simmern (im Hunsrück)
3. die Linie Pfalz-Neuburg (an der Donau)
4. die Linie Pfalz-Sulzbach (heute Sulzbach-Rosenberg, östlich von Nürnberg)


3. Die Verpfändung des Ingelheimer Reichslandes an Kurpfalz

Als die deutschen Könige und römischen Kaiser seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts keine ländlichen Pfalzen mehr zu Reichstagen, Synoden und Festen brauchten und die Könige des 14. Jahrhunderts eher Geld als Naturallieferungen forderten, wurde das Ingelheimer Reichsgebiet mit seinen Abgaben mehrfach an verschiedene Geldgeber verpfändet, schließlich 1375/76 durch Karl IV. an die Heidelberger "Kurpfalz".

Im Jahre 1402 wurde diese Verpfändung erneuert und quasi zementiert, da der 1400 zum deutschen König erhobene Kurfürst Ruprecht von der Pfalz nun selbst als König das Reichspfandgebiet (Oppenheim, Ingelheim u.a.), dessen eigener Pfandherr er ja war, nochmals für 100.000 Gulden an seinen Sohn Ludwig verpfändete, eine sehr hohe Summe, die man vom Reich her wohl kaum jemals wieder einlösen konnte und wollte (Urkunde vom 23.08.1402). Mit solchen "Verpfändungen" umging man das päpstliche Zinsverbot für Kredite.

Ausschnitt aus der Kurpfalzkarte: oben links am Rhein der "INGELHEIMER GRUND (zu Oppenheim)" mit den grünen Gemarkungen 

  6 und 8 Nieder-Ingelheim mit Sporkenheim (zu Unrecht im Pfalzatlas getrennt )
  7 Frei-Weinheim, von Nieder-Ingelheim umschlossen
  9 Ober-Ingelheim
10 Wackernheim
11 Großwinternheim
12 Schwabenheim (gelb, mit Pfaffenhofen)
13 Bubenheim (gelb, ab 1413/43)
14 Elsheim

Rechts am Rhein Oppenheim mit der Nummer 1

Der Ingelheimer Wald mit Daxweiler (oberhalb von Bingen) gehörte auch dazu, ist aber auf diesem Ausschnitt nicht mehr zu sehen. Das kurfürstliche Mainz mit seinen Vororten (weiße Fläche) war vom Rhein und von der Kurpfalz umgeben.

Die Ingelheimer Abgaben wurden nach Oppenheim abgeführt. Die Reichsdörfer des Ingelheimer Grundes waren nun zu einem Anhängsel der kurpfälzischen Amtsstadt Oppenheim geworden, zu der außerdem Nierstein (Nr. 2), Schwabsburg (Nr. 3) und Dexheim (Nr. 4) gehörten (alle grün).

Im Jahre 1418 bestand noch einmal kurz die Möglichkeit, dass das Reichspfandgebiet von Oppenheim, Kaiserslautern, Ingelheim etc. von König Sigmund der Kurpfalz genommen und den Städten Mainz, Worms und Speyer übertragen wurde. Dies geschah in einer Phase des Zerwürfnisses zwischen dem böhmisch-ungarisch-deutschen König Sigmund und dem Pfalzgrafen bei Rhein Ludwig III., in der diesem auch andere Pfandstädte im Elsass genommen wurden. Das Geschäft war durch den Mainzer Eberhard Windeck angebahnt worden, der auch ein Buch über Sigmund schrieb. Allerdings gingen die drei Städte schließlich aus Angst vor einem Krieg mit der Kurpfalz auf dieses Angebot nicht ein.

Nach der Reformation verwaltete ein kurpfälzischer "Schaffner", der seinerseits einem Amtmann im kurpfälzischen Oppenheim unterstand, die Einnahmen des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes, das von Karl IV. 1354 gegründet worden war.

Als im Dreißigjährigen Krieg die Kaiserlichen unter Spinola die Kurpfälzer besiegt und auch die Pfandorte eingenommen hatten (1621), wandte sich das Niersteiner Rittergericht - auch Nierstein gehörte zum Pfandgebiet - am 26. Mai brieflich an den Kaiser Ferdinand II. mit der Bitte, die Pfandschaft aufzuheben und die Pfandgebiete wieder direkt dem deutschen König zu unterstellen. Der Kaiser antwortete erst ein halbes Jahr später mit der Aufforderung, die Originalurkunden der Pfandschaft einzusenden, und schickte außerdem eine Kopie des Briefes an Spinola. Mehr wurde daraus aber nicht, im Gegenteil, die Regierung Ferdinands erwog sogar, die Oppenheimer Pfandgebiete im Austausch gegen anderes dem Kurfürstentum Mainz zu überlassen. (Reifenberg, S. 191)

Im Friedensschluss 1648 wurde das bisherige Reichspfandgebiet als regelrechter Territorialbesitz der wieder hergestellten Kurpfalz behandelt, zwar nicht ausdrücklich, aber von der Diktion des Vertrages als selbstverständlich vorausgesetzt (Reifenberg, S. 187).

Kurpfälzisch blieb es bis zum Frieden von Lunéville 1801, in dem das Reich das gesamte Gebiet links des Rheins und damit auch den Ingelheimer Grund völkerrechtlich an Napoleons Frankreich abtrat.


4. Der Ingelheimer Grund in Pfälzer Zeit

Die vier Jahrhunderte - von etwa 1400 bis etwa 1800 - der Zugehörigkeit zum Kurfürstentum der "Pfalz bei Rhein" haben im historischen Gedächtnis der Ingelheimer nicht den Stellenwert wie die Epochen des frühen und hohen Mittelalters unter den Karolingern sowie den sächsischen und salischen Kaisern, als die Ingelheimer "Pfalz" zeitweise ein politischer Ort mit höchster europäischer Bedeutung war, ja, "Ingelnheim" besaß in der Stauferzeit sogar einen legendären Ruf.

Die ritterliche Blütezeit im 14. und 15. Jahrhundert, als der Ingelheimer Oberhof von vielen Orten der Region um juristischen Rat angegangen wurde und als im 15. Jh. die Burgkirche neu gebaut wurde (s. die Rittergrabmäler dort), wird meist nicht mit der Kurpfalz in engere Verbindung gebracht, obwohl der Reichtum der Herren von Ingelheim im 15. Jahrhundert vornehmlich in Pfälzer Diensten erworben wurde. Der Ritter Philipp von Ingelheim, dessen prächtiges Epitaph in der Burgkirche zu bewundern ist, ist zum Beispiel in Pfälzer Diensten nach Lothringen gezogen und dort bei Bulgnéville gefallen.

Die 1386 in Heidelberg gegründete Kurpfälzer Universität bot auch für manche Ingelheimer die Gelegenheit zu einem Studium. Andreas Saalwächter stellte in seinem "Geschichtlichen Überblick" in BIG 9 (1958) einige aus den Ingelheimer Orten stammende Studierende zusammen (S. 19-20). Ihr prominentester Ingelheimer Student war sicherlich Sebastian Münster.


In zwei Bereichen hat die Zugehörigkeit Ingelheims zur Kurpfalz schmerzliche Spuren hinterlassen. Es waren

- die vielen Kriege der Kurpfalz, in die auch Ingelheim verwickelt wurde und die besonders in Nieder-Ingelheim immer wieder zu Militärdurchzügen, Einquartierungen, Belagerungen und Verwüstungen geführt haben

- und das wiederholte Hin und Her der drei Konfessionen (Katholiken, Lutheraner und Reformierte), insgesamt sieben Mal (so Schaab), je nachdem, welche Pfälzer Linie oder welche ausländische Besatzungsmacht ihre Konfession bei den Untertanen durchzusetzen versuchte

Daher wird die Geschichte Ingelheims in dieser langen Epoche vorwiegend als eine Geschichte von Kriegen (und ihrem Gefolge als Geschichte von Seuchen und Hungersnöten) und als eine Geschichte von Konfessionsstreitigkeiten wahrgenommen.

Am schlimmsten war die Beulenpest-Epidemie, die sich im Jahre 1666 den Rhein herauf verbreitete und auch in unserer Region zu einem Bevölkerungsverlust von ca. einem Drittel führte (s. Rettinger, S. 22f.).

Philipp Krämer hat für Ober-Ingelheim sogar einen Bevölkerungsrückgang nach dieser Pest auf unter 300 Seelen von ca. 800 errechnet, also Verluste von mehr als 63%.

Bei Reifenberg (S. 183) findet sich eine Einwohner- und Vermögensstatistik für das Jahr 1577.

Gleichwohl, so das Fazit von Rettingers demographischem Vergleich der Daten von Mainz mit denen des Umlandes, war "auf längere Perspektive sowohl im 17. als auch im 18. Jahrhundert ein Bevölkerungswachstum auf dem Lande zu konstatieren." - Davon muss man wohl auch in den Ingelheimer Dörfern ausgehen, auch wenn in Ober-Ingelheim die Bevölkerungszahl von ca. 1000 Einwohnern aus der Zeit um 1600 erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder erreicht und dann übertroffen wurde.

In diese Epoche der Zugehörigkeit zur Kurpfalz fallen möglicherweise einige Hexenprozesse im Ingelheimer Grund, im Jahre 1543. Mindestens drei Frauen sind in ihrem Verlauf verbrannt worden, allerdings lässt die Quellenlage (nur Bürgermeisterrechungen über die Auslagen bei diesen nicht weiter beschriebenen Prozessen) keine sicheren Schlüsse zu. Die spätere Intensivierung kurpfälzischer Aufsicht über das Gerichtswesen könnte Hexen-Prozesskaskaden (wie in Kurmainz und Kurtrier) im früher selbständigen Ingelheimer Grund im 17. Jahrhundert möglicherweise verhindert haben.

Heutige Touristen suchen in der Regel nach der "Pfalz" Karls des Großen, aber fragen so gut wie nie nach Spuren der Kur-"Pfalz", und man könnte ihnen auch nur wenige Bauten aus jener Zeit zeigen, die auf Kurpfälzer Einfluss zurückgehen, so die barocke Remigiuskirche in Nieder-Ingelheim und die ebenfalls barocke kleine Kirche St. Michael in Ober-Ingelheim, beide aus einer Epoche, in der katholische Pfalzgrafen herrschten.

Schließlich haben die Pfälzer Kurfürsten durch die Schaffnerei im Saal die noch verwertbaren Baureste aus den Pfalzruinen lieber zum Bau des Heidelberger Schlosses abtransportieren lassen, z. B. Säulen, als selbst im Ingelheimer Grund zu investieren. Lediglich die Wehrmauern des Saales und von Ober-Ingelheim (Zolleinnahmen!) scheinen verschiedentlich ausgebessert und modernisiert worden zu sein.



Nur von einem größeren Investitionsprojekt ist etwas bekannt, nämlich von einem Vorschlag des Kurpfälzer Festungsbaumeisters Adam Stapf und seinem Assistenten Laurentius Engelhart. Diese reisten zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges durch die untere Rheinpfalz, um die dortigen Befestigungen zu inspizieren. Da auch die mittelalterlichen Wehrmauern des "Saales" nicht mehr in einem zeitgemäßen Verteidigungszustand waren, schlugen sie wie bei anderen Kurpfälzer Wehranlagen den Ausbau des "kaiserlichen Saales" durch fünf vorgesetzte "Bollwerke" vor. Der gerade Mauerverlauf am unteren Rand des Bildes rechts entspricht dem Verlauf der Außenmauer der ehemaligen Aula Regia, oben in der Mitte ist das "Heidesheimer Tor", rechts unten der "Bolander".

Die Ausführung dieses Planes unterblieb jedoch aus Kostengründen, zumal der Dreißigjährige Krieg sowieso die kurpfälzische Herrschaft für Jahrzehnte hinwegfegte. Eine letzte Aufrüstung des Saales fand wohl zu Beginn der 1680er Jahre statt. Seine Mauern wurden jedoch wahrscheinlich von den Franzosen im Pfälzer Erbfolgekrieg zerstört (Einzelheiten unklar). Auch die Ortsbefestigung von Ober-Ingelheim verlor damals ihre Verteidigungsfunktion und die "Pforten" (Tore) wurden nur mehr zur Zolleinnahme und zur Registrierung der Weinernte für die Abgabe des Weinzehnten instand gehalten.

Um den Neubau des ca. 1700 zerstörten Kranes in Frei-Weinheim kümmerte sich die pfälzische Verwaltung so wenig, dass das Material dafür sogar gestohlen werden konnte und ein Neubau im ganzen 18. Jahrhundert unterblieb. Offenbar war aus der Sicht der Kurpfälzer Regierungen in Düsseldorf, Heidelberg und Mannheim die wirtschaftliche Bedeutung des Ingelheimer Grundes (und seines kleinen, flachen Hafens) zu gering (geworden). Dafür ist auch bezeichnend, dass Ingelheim in der großen Ausstellung zu den Wittelsbachern am Rhein 2013/14 in Mannheim nicht vorkam und im Begleitband mit wissenschaftlichen Aufsätzen der Name Ingelheim nur ein einziges Mal als Anhängsel des Reichspfandgebietes Oppenheim erwähnt wird.

Als die kurpfälzische Regierung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine merkantilistische Wirtschaftspolitik betrieb, wurde jedoch auch in Ingelheim der Anbau von Maulbeerbäumen zur Seidenraupenzucht gefördert.

Ob sich die kurpfälzische "Chaussée-Commission", die 1764 gegründet worden ist, auch mit der von Mainz nach Bingen verlaufenden Straße befasst hat, ist nicht bekannt. Hesse (S. 113) jedenfalls berichtet über kurpfälzische Straßenbauten im Linksrheinischen nur von den Straßen Mannheim-Frankenthal-Pfeddersheim-Alzey-Kreuznach, Oppenheim-Worms sowie Alzey-Odernheim, sodass man davon ausgehen kann, dass die Straße Mainz-Bingen erst in napoleonischer Zeit unter der Verwaltung des Präfekten Jeanbon St. André ausgebaut wurde.

Als der vorletzte bayerische Kurfürst Maximilian III. Joseph 1777 in München starb, erlosch mit ihm die bayrische Wittelsbacher Linie. Deshalb folgte nach kurzem Erbfolgekrieg wie vereinbart der Pfalzgraf bei Rhein, Carl Theodor aus dem Hause Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, als Vertreter der letzten noch existierenden Wittelsbacher Linie. Er musste deshalb 1778 - sehr ungern - von Mannheim nach München umziehen, aber blieb zugleich noch Kurfürst von der Pfalz und Herzog von Jülich-Berg.

In seiner Mannheimer Regierungszeit hatte sich dort ein reges kulturelles und musikalisches Leben entwickelt, es wurde die Mannheimer Akademie der Wissenschaften gegründet und das große Mannheimer Schloss gebaut. Mit seinem Wegzug erlosch die kurze Blütezeit Mannheims als katholisch-kurpfälzische Residenzstadt. Auf seine Jagdleidenschaft und die damit verbundenen Vergnügungen geht möglicherweise das Lied vom "Jäger aus Kurpfalz" zurück.

Als Carl Theodor 1799 kinderlos starb, folgte ihm Herzog Maximilian IV. Joseph von Pfalz-Zweibrücken (später "König Max") als letzter noch lebender Wittelsbacher Regent in München. Formell war auch er noch Kurfürst und Pfalzgraf bei Rhein, obwohl es diese Kurpfalz seit den französischen Revolutionskriegen linksrheinisch praktisch nicht mehr gab. Und als im Frieden von Lunéville 1801 die deutschen Gebiete links des Rheines auch völkerrechtlich an Frankreich abgetreten wurden, bestand die einzige Regierungshandlung des französisch erzogenen Maximilian Joseph als "Pfalzgraf bei Rhein" darin, auf diese ehemals pfälzischen Gebiete links des Rheines zu verzichten. Napoleon belohnte seine Treue zu Frankreich 1805 mit einer Aufwertung zum König (gültig ab 1.1.1806).

An die vierhundertjährige Epoche der Zugehörigkeit zu Kurpfalz erinnern heute außer den beiden Kirchenneubauten in Nieder- und Ober-Ingelheim (Remigiuskirche bzw. St. Michael) noch eine "Kurpfalzstraße", die von der Grundstraße zum Sandhobel führt, der an ihr gelegene "Kurpfalzkindergarten", der Name einer ehemaligen Gaststätte in Frei-Weinheim ("Zur Pfalz"), beachtliche Epitaphien in der Burgkirche für Kurpfälzer Adlige sowie der Stamm "Ottheinrich" der Ingelheimer Pfadfinder im VCP (Verband Christlicher Pfadfinder). Er wurde 1956 gegründet und nach dem lutherischen Reformator der Kurpfalz benannt, dem Pfalzgrafen und Kurfürsten Ottheinrich. Seinen Sitz hat er in der Ringgasse von Ober-Ingelheim.


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Gs, erstmals: 12.03.06; Stand: 21.12.23