Verfasser: Hartmut Geißler
Ende Juni/Anfang Juli des Jahres 788 hielt Karl der Große wahrscheinlich eine Reichsversammlung in Ingelheim ab, wo er sich schon - einmalig lange! - seit der Vorweihnachtszeit 787 aufhielt. Dabei kam es zu einem Prozess gegen Karls vornehmsten Vasallen, seinen Vetter Tassilo III., den Herzog von Bayern, in dessen Verlauf Tassilo wegen angeblicher Untreue abgesetzt und in das Kloster Jumièges (Dép. Seine-Maritime am Unterlauf der Seine) verbannt wurde. Er musste auf sein Herzogtum Bayern verzichten, das Karl an sich zog.
McKitterick (S. 117) weist sicher zu Recht darauf hin, dass alle Berichte, die wir über Tassilo haben, einerseits nur die fränkische Sicht der Dinge wiedergeben und andererseits rückblickend geschrieben wurden, also legitimatorischen Charakter haben.
Die damals möglicherweise schon teilweise benutzbare Palastanlage könnte zu diesem hochdramatischen Vorgang ausgewählt worden sein, um dem wichtigen Schauprozess in einer repräsentativen Architektur einen besonderen Rahmen zu geben. Da wir aber nicht wissen, was Karl so lange (Weihnachten bis zum nächsten Sommer) in Ingelheim festhielt, womit er befasst war, könnte es auch durch diese unbekannten Umstände bedingt sein, dass der Prozess hier stattfand und nicht woanders.
1. Was war Bayern zu Tassilos Zeit?
2. Wer war Tassilo?
3. Was geschah bei dem Ingelheimer Prozess?
Diese Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden. Zusätzlich zu den auf der Literaturseite genannten Veröffentlichungen wurde der Inhalt eines Vortrages von Frau Prof. Dr. Haarländer von der Universität in Mainz beim Historischen Verein in Ingelheim am 12.09.05 herangezogen.
1. Was war Bayern zu Tassilos Zeit?
Ähnlich wie die "Franken" ist auch der "Stamm" der Bajuwaren keine ethnische Einheit gewesen, sondern ein Völkergemisch aus verschiedenen Keltengruppen (Boier, Räter, Vindeliker), wenigen romanischen Siedlungsresten (um Salzburg), aus Germannenstämmen (Alamannen, Markomannen, Langobarden, Thüringer) und aus Slawen und Awaren, die in einer regionalen Herrschaftseinheit zusammengefügt wurden.
Um 500 rückten Teile davon unter einem Herzog Theodo I. in das von Römern weitgehend verlassene Noricum ein, d.h. in die Donau-Hochebene (Ober-Österreich, Ober- und Niederbayern). Die Sprach- und Herrschaftsgrenze nach Westen zu den Alamannen hin bildete (bis heute) der Lech.
Im 6. bis 8. Jahrhundert zeugen mehrfach Ehen zwischen den Langobarden in Norditalien und den "Agilolfingern", der Herzogsfamilie in Bayern, von guten politischen Beziehungen zwischen beiden Regionen.
In Tassilos Zeit umfasste sein Herzogtum etwa die Gebiete von der Naab bis zur Etsch und Drau sowie vom Lech bis nach Ober-Österreich und Kärnten (nach dem Sieg Tassilos 772 über die slawischen Karantanen), d.h. auch weite Teile des heute italienischen, österreichischen und slowenischen Alpenraumes.
Der Vinschgau mit dem Rechenpass gehörte allerdings über das Bistum Chur zur Oberhoheit der Franken - anders als hier eingezeichnet. Allerdings ist unklar, inwieweit die Alpentäler damals schon tatsächlich von Baiern durchdrungen waren oder sich eine noch weit gehende ladinische Selbständigkeit (wie in Churrätien) erhalten hatte. In Wikipedias Geschichte Bayerns gibt es eine Karte zum älteren Stammesherzogtum Bayern, auf der die vermutlichen Grenzen - eine zu große Genauigkeit suggerierend! - folgendermaßen eingezeichnet sind:
Jedenfalls scheint Tassilo seine Herrschaft über die Alpenpässe mit dem Brenner nach Süden ausgedehnt zu haben. Frau Haarländer (Universität Mainz) hält es nicht für ausgeschlossen, dass diese Herrschaftsfrage über die Alpenpässe der machtpolitische Hintergrund für Karls Schauprozess gewesen sein könnte, denn über den Brenner, den Inn, die Donau und die Altühl verlief ein wichtiger Transportweg zum Main und Rhein hin, auf dem die Transporte von Baumaterial aus Oberitalien nach Ingelheim, Aachen und Nimwegen verlaufen sein könnten. Der Brennerpass war allerdings für Schwertransporte, wie z. B. die der Säulen, nicht geeignet. Hinzu kam Tassilos gutes Verhältnis zu den Langobarden, aus deren Königsfamilie möglicherweise Mitglieder nach der Niederlage gegen Karl 774 bei ihm Zuflucht gesucht haben, denn Tassilo hatte eine langobardische Prinzessin (Liutpirc) geheiratet (s.u.).
Die Kirche in Bayern hatte zu Tassilos Zeit durchaus ein Bewusstsein von Eigenständigkeit, das sich in eigenen bayrischen Bischofssynoden zeigte.
Regensburg war die Residenzstadt des Herzogtums Bayern; Tassilo hatte also im Gegensatz zu Karl eine richtige Residenzstadt, den traditionsreichen Sitz des spätantik-römischen "Dux", dessen mächtige Kastellmauern damals noch zu bewundern waren.
2. Wer war Tassilo?
Etwa 741 wurde er vorehelich als ältester Sohn Herzog Odilos höchstwahrscheinlich in Regensburg geboren. Seine Mutter war Chiltrud, eine Schwester des fränkischen Hausmeiers und späteren Königs Pippin. Damit war Tassilo ein Vetter Karls des Großen. Nach dem Tode seines Vaters im Jahre 753 - Tassilo war 7 Jahre alt - verdrängte ihn sein Onkel Grifo, ebenfalls ein Karolinger, nämlich Sohn Karl Martells, von der Herzogsmacht. Doch etwa ein Jahr später setzte Pippin, Karls Vater (!), den Anspruch des jungen Tassilo auf den Bayernthron wieder durch, ausgeübt vorerst durch einen Regentschaftsrat unter seiner Mutter Chiltrud, bei gleichzeitiger Vormundschaft Pippins. Man sieht daran, dass die Familien der bayrischen Agilolfinger und der fränkischen Karolinger schon früh miteinander enge verwandtschaftliche Beziehungen hatten und dass sich die Karolinger schon lange vor dem Tassiloprozess in bayerische Politik eingemischt haben.
Das bayerische Herzogsgeschlecht besaß aber erheblich länger die Macht auf dem königsgleichen bayrischen Herzogsthron - schon seit 555 belegt -, während die Karolinger erst unter Pippin sozusagen als Emporkömmlinge mit päpstlicher Ersatz-Legitimation die fränkische Königswürde erreicht hatten.
Im Jahre 755 hielt Tassilo sich offenbar als Gefolgsmann bei Pippin auf, und zwei Jahre später 757 legte er einen Treueid gegenüber Pippin ab, wenngleich eine förmliche Belehnung mit Handgang in den Reichsannalen nicht erwähnt wird. Das könnte bedeuten, dass Bayern damals noch nicht förmlich zum Karolingerreich gehörte, denn als Pippin 768 starb, wurde Bayern unter den Gebieten des zu teilenden Frankenreiches nicht erwähnt. Nachdem Tassilo sich in den Jahren vor 763 schon mehrfach an Feldzügen Pippins beteiligt hatte, erschien er auch 763, als Pippin das widerspenstige Aquitanien unterwerfen wollte, mit seinem Kontingent zuerst zum Feldzug, kehrte dann aber auf dem Sammelplatz in Nevers um und beging damit den ihm im Prozess ein Vierteljahrhundert später vorgeworfenen "harisliz" (s.u.; die Reichsannalen nennen "Krankheit" als vorgegebene Begründung).
Frau Haarländer hält es für möglich, dass er sich an den karolingischen Grausamkeiten in Aquitanien (Zerstörung von Klöstern, Vernichtung von Weinbergen) nicht beteiligen wollte, zumal er selbst gerade davor stand, ein Kloster zu gründen (Innichen im Pustertal).
Obwohl auf einem folgenden Reichstag in Worms ein Bestrafungsfeldzug gegen Tassilo geplant wurde, geschah nichts von fränkischer Seite gegen ihn, vielleicht wegen einer Hungersnot aufgrund eines sehr strengen Winters.
Tassilo heiratete (wohl 763) - wie später auch Karl - eine Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, Liutpirc (auch: Liutberga, Liutperga), die ihm den ersehnten Nachfolger Theodo gebar, der zu Pfingsten 772 von Papst Hadrian I. getauft wurde.
Rechts eine Nachbildung eines Kelches aus dem von Tassilo gestifteten Kloster Kremsmünster (Oberösterreich) mit einer Aufschrift auf dem Fuß:
"TASSILO DVX FORTIS + LIVTPIRC VIRGA REGALIS"
(Tassilo, der tapfere Herzog, und Liutpirc, ein königlicher Spross)
(Tassilokelch Schreibmayr, aus wikipedia)
Im Ingelheimer Museum befindet sich eine andere Nachbildung dieses Kelches.
Karls dritte Frau Hildegard (771) war vermutlich eine Agilolfingerin.
In seiner relativ langen Regierungszeit (etwa 33 Jahre) gründete Tassilo - wie auch andere bayerische Adlige - viele Klöster (ca. 40 in den 770er und 780er Jahren) und erließ eine Rechtssammlung, die "Decreta Tassilonis". Bayern erlebte unter seiner Herrschaft eine ausgesprochene Blütezeit.
Über das Verhältnis Tassilos zu Karl vor dem Konflikt berichten die Quellen nichts. Allerdings müssten sie sich schon beide - Tassilo ungefähr mit 22 Jahren, Karl mit 14 Jahren - durch die anfangs gemeinsame Teilnahme an dem von Tassilo abgebrochenen Aquitanienfeldzug von 763 kennengelernt haben (s. u.).
Nach dem Tod seines Bruders Karlmann verstieß Karl seine langobardische Frau und begann 773 einen Krieg gegen das Langobardenreich, der 774 mit einem Sieg und der fränkischen Übernahme des "Regnum Langobardorum" mit der Hauptstadt Pavia endete. Einen Aufstandsversuch langobardischer Anhänger in Friaul - angrenzend an bayrisches Gebiet - ließ Karl im Herbst 775 militärisch niederschlagen. Damit war aber die Gefahr eines langodardischen Rückeroberungsversuches mit byzantinischer Hilfe noch nicht gebannt, zumal ein Sohn von Desiderius, Adelchis, nach Byzanz hatte fliehen können.
Von Tassilos Haltung dazu ist nichts bekannt; man kann sie sich jedoch ebenso wie die Reaktionen Liutpircs leicht ausmalen. Noch 778 beteiligte sich allerdings ein bayerisches Truppenkontingent am fränkischen Krieg gegen die Araber in Spanien. Es scheint also damals insoweit noch Einvernehmen geherrscht zu haben.
Die Tatsache, dass Papst Hadrian 781 den jüngsten Sohn Karls taufte und die beiden anderen Söhne Pippin und Ludwig zu Königen von Italien und Aquitanien salbte, deutet nun eine Hinwendung des Papstes weg von Bayern hin zum mächtigeren Frankenreich an.
Ein persönliches Treffen zwischen Karl und Tassilo in Worms im Herbst 781 führte zu einem letzten Kompromiss. Seitdem verschlechterte sich das Verhältnis zwischen beiden. Als 786 eine bayerische Gesandtschaft zu Papst Hadrian reiste und dessen Vermittlung suchte, musste sie unverrichteter Dinge wieder abreisen. Papst Hadrian hatte sich nun eindeutig auf Karls Seite gestellt.
Tassilo selbst weigerte sich, vor Karl zu erscheinen. Dieser hatte nach einem Sieg über die Sachsen die Hände frei und ließ drei Heeresgruppen in Bayern einmarschieren. Tassilo unterwarf sich ihm notgedrungen auf dem Lechfeld und erhielt Bayern förmlich als Lehen von Karl, mit Handgang, Treueid und Geiselstellung seines Sohne Theodo.
Dies reichte Karl aber offensichtlich nicht, denn zwei Jahre später berief er im Rahmen einer Reichsversammlung auch Tassilo nach Ingelheim, eine Einladung, der auch der belehnte Vasall Tassilo Folge leisten musste. Vorsorglich hatte Karl auch (nach den Murbacher Annalen) in einer Art Kommando-Unternehmen Tassilos Gattin und Kinder, den Thronschatz und das Gesinde aus Regensburg fortbringen lassen (auch nach Ingelheim?), was darauf schließen lässt, dass er ganze Sache machen wollte.
3. Der Prozess in Ingelheim und die Verzichtserklärung bei der großen Synode in Frankfurt 794
Mehrere Quellen beschreiben diesen Prozess, aber unterschiedlich; in der Hauptsache sind dies:
- die fränkischen Reichsannalen, denen eine große Nähe zum fränkischen Königshof nachgesagt wird, ja, die Fried/2014, S. 186, sogar in ihren Berichten zu Tassilo als ein "nachträgliches Konstrukt zur Diffamierung des undankbaren Vasallen" wertet (MGH Script. rer. Germ., 6, 1895, pp. 78-82)
- die Lorscher Annalen, die ähnlich eingestuft werden (MGH SS., 1, 1826, p. 33)
- und die Murbacher Annalen, auch Annales Nazariani, aus denen sich manche Kritik an Karls Vorgehen herauslesen lässt. (MGH SS., 1, 1826, pp. 43-44)
Matthias Becher interpretiert ihre verschiedenen Berichte ausführlich in seinem Beitrag "Ingelheim 788: Der Prozeß gegen Herzog Tassilo III. von Bayern" in BIG 43, 1998. Zu Einzelheiten siehe dort!
Es wurde Tassilo jedenfalls mehrfache Arglist und Treulosigkeit vorgeworfen, antifränkische Beziehungen zu den Awaren und der angebliche "harisliz" (etwa: Fahnenflucht) von 763. Außerdem hatten sich langobardische Adlige aus Friaul, deren Aufstand gegen die Karolingerherrschaft 776 niedergeschlagen worden war, zu den Awaren geflüchtet, mit denen Tassilo ein Bündnis angestrebt haben soll. Nach der Einschätzung von Stefano Gasparri (in Kaiser und Kalifen, S. 107) waren diese langobardischen Herzöge an der Ostgrenze und damit an der Grenze zu Bayern militärisch ernst zu nehmen. Sie konnten deswegen aus fränkischer Sicht auch im Exil in Bayern oder bei den Awaren durchaus eine Gefahr für das Frankenreich darstellen.
Becher kommt ebenso wie Adalbert Erler in BIG 27 (1978) zu dem Ergebnis, dass das Ganze ein inszenierter politischer Schauprozess gewesen sein muss, mit vorgeschobenen Motiven und mit zwei politischen Absichten.
- Einmal die Entmachtung Tassilos: "Der Frankenkönig betrieb den Sturz des Herzogs, und fast jedes Mittel war ihm dazu recht." (so Becher S. 83).
- Außerdem diente der Prozess als warnendes Beispiel für andere Adlige des Frankenreiches, von denen danach auch keiner mehr zu Lebzeiten Karls einen Aufstand wagte.
Becher verweist in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass ein Jahr nach dem Prozess, der gewiss noch gut in Erinnerung war, alle freien Männer, die das zwölfte Lebensjahr vollendet hatten, dem König Treue schwören mussten.
Hinzu mag noch das wirtschaftliche Interesse gerechnet werden, das es für die Franken attraktiv erscheinen ließ, den wichtigen Handelsweg von der Adria über den Brenner, durch Bayern, Thüringen, Sachsen an die Ost- und Nordsee oder über die Altmühl und den Rhein zu den rheinischen Zentren der Karolinger unter Kontrolle zu bekommen. Man denke an den Versuch des Kanalbaues an der Altmühl 793!
Karl konnte sich beim Prozess als gnädiger König zeigen, der Tassilo - entgegen den Forderungen der anderen Adligen ("einstimmig", so die Reichsannalen) - nicht zum Tode verurteilte, sondern ihn, seine Frau, seine zwei Söhne und zwei Töchter lediglich in Klöster verbannte. Damit wurde den beiden Söhnen nicht nur die Erbfolge in Bayern genommen, sondern auch - als den Enkeln des abgesetzten langobardischen Königs Desiderius - eine mögliche Erbfolge auf dem langobardischen Königsthron.
Karl entsprach der Bitte Tassilos, die Tonsur seines Haupthaares, die damit verbunden war, nicht in Ingelheim vorzunehmen; es geschah daraufhin in St. Goar. Sechs Jahre später (794) erscheint Tassilo erstaunlicherweise nochmals bei einer Synode in Frankfurt am Main, wo er seinen Thronverzicht bestätigen musste. Die Hintergründe dieses erneuten Verzichtsverfahrens sind nicht bekannt, vielleicht waren es juristische Gründe.
Wilfried Hartmann schrieb 1989 dazu:
"In c. 3 wird berichtet, daß der 788 aus seinem Amt gedrängte Herzog Tassilo III. von Baiern vor der Synode erschien; dies geschah nicht, weil vor der synodalen Versammlung eine regelrechte Gerichtsverhandlung gegen ihn eröffnet werden sollte, sondern offenbar deshalb, weil er noch Anhänger in seinem ehemaligen Herzogtum hatte, die durch das Verfahren von Ingelheim im Jahre 788 nicht beruhigt worden waren. Tassilo bat jetzt den König — wie es in c. 3 heißt — um Gnade für seine Vergehen, sowohl für das, was er zu Zeiten Pippins gegen diesen, als auch für das, was er gegen König Karl als fraudator fidei getan habe. Er leistete vor der Versammlung Verzicht auf alle Güter, die ihm und seinen Kindern im Herzogtum Baiern rechtmäßig zustanden, und ergab sich und seine Kinder in die Gnade des Königs. Karl schenkte darauf Tassilo seine Gnade wieder und nahm ihn in seinen Schutz und seine Fürsorge auf. Welche große Bedeutung diesem Vorgang beigemessen wurde, kann man daraus ersehen, daß in das Kapitular die Bestimmung aufgenommen wurde, über dieses Geschehen müsse ein Protokoll hergestellt werden, von dem in der Pfalz (in Frankfurt?), in dem Tassilo zum Aufenthalt angewiesenen Kloster und in der Pfalzkapelle (in Aachen?) jeweils ein Exemplar aufbewahrt werden sollten."
Zum Kloster seiner Verbannung wurde Jumièges bestimmt (ein damals reiches Kloster am Unterlauf der Seine mit guten Beziehungen zu den Karolingern, das ab 841 von Normannen zerstört wurde). Fried (S. 456) meint, dass er zuerst einige Jahre in St. Goar verbracht habe, dann von dort vor die Synode von 794 nach Frankfurt geholt worden sei, um seine Abdankungen dort noch einmal zu bekräftigen. Aber dieser jahrelange Zwischenaufenthalt in St. Goar, an einem der wichtigsten Verkehrswege in Deutschland, mit besten Kommunikations- und Fluchtmöglichkeiten, macht ebenso wenig Sinn, wie ein nochmaliges Zurückholen aus Jumièges nach Frankfurt. McKitterick glaubt an größere Schwierigkeiten, die Karl bei der fränkischen Durchdringung von Bayern hatte.
Auch ist unklar, in welchem Jahr und wo Tassilo gestorben ist; nur der Tag ist überliefert, der 11. Dezember, denn an diesem Tag wird jährlich im Kloster Kremsmünster, das 777 durch Tassilo gegründet wurde, des Todestages des heilig gesprochenen Tassilo gedacht.
Der sehr verlässliche Mainzer Dom-Dekan Georg Helwich, der auch die Inschriften in der Ober-Ingelheimer Burgkirche abgeschrieben und veröffentlicht hat, berichtet 1631 in seinen Antquitates Laurishaimenses (S. 28), dass er am 10. September 1615 (sogar mit Tagesdatum!) persönlich eine sehr alte Gedenktafel in der Klosterkirche von Lorsch, links vor dem Altar des Bischofs Nikolaus, gesehen und abgeschrieben habe, die heute verloren ist:
"Tessilo Dux primum, post Rex, monachus sed ad imum,
Idibus in ternis decesserat iste Decembris.
Conditur hac fovea, quem pie Christe bea."
Tessilo, zuerst ein Herzog, dann ein König, zuletzt ein Mönch,
Dieser war am dritten Tag vor den Iden des Dezember (= 11.12.) verschieden.
Er ist bestattet in dieser Grube, den du, frommer Christus, selig [machen mögest]. (Gs)
Sein Werdegang wird mit den Bildern Herzog - König - Mönch charakterisiert.
Ob Tassilo wirklich in diesem Kloster gestorben ist, bleibt unklar. Auch Helwich wundert sich in der Einleitung, dass er keinerlei Spuren Tassilos in den alten Chroniken des Klosters Lorsch gefunden habe. Er weist aber darauf hin, dass zwei seiner Brüder Äbte in Lorsch gewesen seien, zitiert des weiteren aus Tassilo-Legenden und erwähnt, dass Tassilos Sohn Theodo gleichfalls ins Kloster Lorsch verbannt worden sei. Es scheint also später in Lorsch zumindest eine Art sagenhafte Tassilo-Verehrung gegeben zu haben. Möglicherweise wurde Tassilo von Jumièges nach Lorsch verlegt, weil in der Normandie seit ca. 800 die Überfälle von Wikingern zunahmen, bis das großartige Kloster 841 von ihnen ausgeraubt und völlig zerstört wurde.
Im Bericht der Reichsannalen über den Prozess wird als Anklagepunkt u. a. eine Art militärische Gefolgschaftsverweigerung Tassilos 763 gegenüber Pippin beim vierten seiner neun Feldzüge in Aquitanien genannt, der "harisliz": "Quod lingua theodisca harisliz dicitur". Es ist dies die früheste Erwähnung des Wortes "deutsch" ("lingua theodisca" = Volks-Sprache).
Alsbald nach dem Prozess begab sich Karl nach Regensburg und regelte dort während eines monatelangen Aufenthaltes die bayerischen Verhältnisse im fränkischen Sinne. Zu seinem Gouverneur ernannte er den alemannischen Bruder seiner Frau Hildegard, den Grafen Gerold (II.). Das (ältere) bayerische Stammesherzogtum hörte damit für einige Jahrzehnte auf zu existieren (wie schon vorher andere Herzogtümer im Frankenreich). Die Söhne Ludwigs des Frommen, Lothar und Ludwig II., waren "Könige" in Bayern. Als erster neuer Herzog in Bayern gilt Arnulf I. ab 907.