Autor: Hartmut Geißler
nach Becher; siehe auch Bechers Aufsatz in Francia 19/1, 1992, S. 37-60: Neue Überlegungen zum Geburtsdatum Karls des Großen
Zuletzt dazu Weinfurter, Karl der Große, 2013, S. 55 f.
Die Stadt Ingelheim feierte im Jahr 1998 ein „Karlsjahr“, in dessen Verlauf auch die Sonderausstellung im alten Nieder-Ingelheimer Rathaus stattfand: „Karl der Große in Ingelheim. Bauherr der Pfalz und europäischer Staatsmann.“ Als Anlass dazu diente der 1250. Geburtstag Karls.
Herrscher werden normalerweise nach ihren Regierungsjahren chronologisch eingeordnet (Karl also mit 768-814), weil man vielfach Geburtsjahre oder gar Geburtstage nicht (genau) kennt. Auch bei Karl schwanken die Angaben für sein Geburtsjahr, während der Tag – der 2. April – unumstritten ist; es werden bzw. wurden in der Forschung bisher die Jahre 742, 747 und 748 genannt.
Deswegen behandelt der erste wissenschaftliche Beitrag des Ausstellungskatalogs eben diese Frage des Geburtsjahres, und Prof. Dr. Matthias Becher legt darin überzeugend dar, warum das Jahr 748 das richtige ist (S. 19-24).
1. Einhard, Karls Biograph, berichtet in seiner Vita Karoli Magni, dass er am 28. Januar 814 im Alter von 72 Jahren gestorben sei – das würde als Geburtsjahr 742 heißen. In seiner Anlehnung an die antiken Kaiserbiographien Suetons "musste" er sozusagen sowohl Geburts- als auch Sterbedaten angeben, obwohl er an anderer Stelle sagt, dass er über Geburt und Jugend Karls nichts habe in Erfahrung bringen können. Auch das Epitaph Karls, das Einhard zitiert, macht nur ungenaue Angaben: er sei als „Septuagenarius“ (in den Siebzigern) gestorben, während der Schreiber der Reichsannalen, die am Hof Karls abgefasst wurden, mitteilt, Karl sei ungefähr im 71. Lebensjahr gestorben. Aus alledem schließt Becher, dass man am Hofe Karls (einschließlich Einhard) nichts Genaues wusste, so dass Einhard ein Geburtsjahr aus stilistischen Gründen erfinden musste.
2. Die Annales Petaviani, deren Verfasser unbekannt ist, nennen als Geburtsjahr 747. Dies wäre ein Ostersonntag gewesen, ein symbolträchtiger hoher Feiertag, der aber nirgendwo erwähnt ist. Es lässt sich aber aus der Verknüpfung der Mitteilung mit dem Aufbruch des Onkels Karlmann nach Rom, der erst nach dem 15. August stattfand, schließen, dass Karl danach geboren wurde, weswegen der 2.4.747 nicht möglich wäre.
3. Becher löst nun diesen Widerspruch dadurch auf, dass er daran erinnert, dass die frühen Annales nur kurze und karge Eintragungen am Rand der Osterfesttafeln waren. Diese Tafeln brauchte man, weil die Berechnung des jährlichen Ostertermins eine so komplizierte Sache war, dass sich die Klöster mit Listen für mehrere Jahre beholfen haben. Wegen des hohen Ranges des Osterfestes begann für viele Annalisten das Jahr erst mit Ostern, so dass man durchaus den 2. April 748, der noch vor dem Ostersonntag von 748 lag (21.4.748), noch dem damaligen Kirchenjahr 747 zurechnen konnte, obwohl es nach der heutigen Rechnung schon das Jahr 748 war.
Zwei weitere Notizen stützen diese Argumentation: Nach dem Bericht über die Überführung der Reliquien des Heiligen Germanus nach Saint-Germain (755) soll Karl als Siebenjähriger teilgenommen haben.
Und im Jahr 760 ernannte Pippin seinen ältesten Sohn (Karl) zu seinem Vertreter im Königsschutz für die Abtei St. Calais mit dem Prädikat „illuster vir“. Nach der Lex Salica erreichte ein junger Mann die rechtliche Volljährigkeit mit zwölf Jahren, nicht erst mit dreizehn, also auch eine Schwelle, die für 748 als Geburtsjahr spricht.
Stefan Weinfurter fasste die anderslautenden Angaben anderer Quellen in seiner Karlsbiografie 2013 so zusammen:
"Der 'Siebziger' also hat sein Leben vollendet, ganz nach den biblischen Vorgaben (s. Psalm 89). Karl war, so konnte dies verstanden werden, auch in dieser Hinsicht ein Vollender der Worte der Heiligen Schrift. Siebzig, einundsiebzig, zweiundsiebzig - es waren allesamt Zahlen mit demselben symbolischen Wert. Das tatsächlich erreichte Alter - 65 Jahre - hätte für diese Symbolik allerdings nicht ausgereicht." (S. 56)
Gs, erstmals: 01.08.05; Stand: 06.11.20