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Der Ingelheimer Wald und die Beziehungen zwischen Ingelheim und dem dortigen Ort Daxweiler


Autor: Hartmut Geißler
nach Gaul, Adolf: Zur Geschichte des Ingelheimer Waldes in der Gemarkung Daxweiler. In: BIG 42, 1997, S. 166-171 und
Saalwächter, Andreas: Der Ingelheim Wald. In: Boehringer Zeitung Nr. 3, September 1954, S. 6-12


Vom ehemaligen Ingelheimer Stadtarchivar Adolf Gaul wurde im Heft Nr. 42 (1997) der Beiträge zur Ingelheimer Geschichte ein Aufsatz veröffentlicht, der einen Überblick über die Geschichte dieses Waldes und der Beziehungen der beiden Ingelheim zum Ort Daxweiler bietet.

Gaul beginnt:

"Unmittelbar an den Stadtwald Bingen grenzt der Wald der Stadt Ingelheim am Rhein, der sich mit seiner heutigen Flächengröße von fast 1200 Hektar in einer Länge von 6 km zwischen den Dörfern Daxweiler und Dichtelbach erstreckt, zum 637 m hohen Kandrich ansteigt, nach dem Guldenbachtal abfällt und von der Bundesstraße 50 nach Westen hin abgegrenzt wird. Im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedsgemeinden des Walderholungsverbandes Rhein-Nahe, die ihre Wälder gewissermaßen „vor der Haustüre“ liegen haben, müssen die Ingelheimer immerhin gut 30 km Weges zurücklegen, um aus ihrer waldarmen - aber mit Reben und Obstbäumen reich bestandenen - Umgebung in ihren Wald im vorderen Hunsrück zu gelangen."


Violett umrandet ist der noch heute der Stadt Ingelheim gehörende "Ingelheimer Stadtwald"; die Abbildung wurde freundlicherweise von Reiner Letzner zur Verfügung gestellt.


Urkundlich kann heute weder die Eigentumsübertragung an die beiden Ingelheim selbst noch deren Zeitpunkt belegt werden. Aber auch Gaul geht davon aus, dass im frühen Mittelalter das Reichsgebiet um Ingelheim ebenso wie der gesamte Soonwald Bestandteile des unteren Nahegaus gewesen sind, "ein geschlossenes Reichsgut".

Erstmalig erwähnt wird der Wald (indirekt) und der südöstlich davon liegende Ort Daxweiler in einem Lehensverzeichnis Werners II. von Bolanden aus den Jahren 1194/98, wo es heißt, dass er...
"die Vogtei über beide Ingelheim, über Winternheim, über Bubenheim in der oberen Straße, auch über Wackernheim und Weinheim, über das Kloster Hausen und das Dorf Daxweiler und alles im Soonwald liegende, was zu dem Hof [Ingelheim? Daxweiler?] gehört, die Münze in Ingelheim, den Weinzehnt in Ingelheim und den Hof zu Mannendahl" (= Ort Mandel) ...
... besitze.

Im Zuge der Verpfändungen an Kurpfalz ab 1375 sei auch Daxweiler mit diesem Wald verpfändet worden, als Zubehör zum Ingelheimer Reichsgrund.

Erstmals als Eigentümer dieses Waldes werden die beiden Ingelheim (nach Gaul) 1387 im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren genannt. Vom 20 Juni 1419 ist ein Vertrag überliefert zwischen Daxweiler und den beiden Ingelheim, in dem die beiderseitigen Beziehungen geregelt wurden. Danach sollte Daxweiler "nach altem Herkommen" jährliche Abgaben an Ingelheim zahlen:

- am 11.11. ein "Imbs" ("Imbiss")
- aus jedem Haus ein Fastnachtshuhn und einen Sümmer (=Scheffel) Hafer (wahrscheinlich deren Geldwert)
- und am Johannistag 3 Gulden Geldzins an Ingelheim.

Im Gegenzug bekamen die Leute von Daxweiler das Recht, ihr Vieh in den Ingelheimer Wald zum Weiden treiben zu dürfen (aber nicht in junge Schläge unter 3 Jahren) und das Holz zu nutzen, jedoch nicht zum Verkauf außerhalb der Gemarkung.

Die beiden Ingelheim (von Anfang an beide Orte zusammen) übten also eine Art Grund- und auch Gerichtsherrschaft über die Leute von Daxweiler aus, das Fastnachtshuhn symbolisiert dieses grundherrschaftliche Verhältnis.

Warum dieses Waldstück des östlichen Hunsrück über Jahrhunderte zu Ingelheim gehörte, darüber wurde immer wieder ohne Erfolg gerätselt, denn die Entfernung ist beträchtlich, nach heutigen Straßenkarten etwa 28-30 km. Das bedeutet, dass die Ingelheimer nicht einfach Vieh in diesen Wald zum Weiden treiben, sich auch nicht schnell einmal Brennholz von dort holen konnten, geschweige denn Bauholz, denn ein Ochsengespann hätte mindestens zwei Tage für die einfache Strecke gebraucht, den Transport aus dem Wald herunter nicht gerechnet. Demgegenüber war es viel einfacher, Bauholz aus dem Spessart oder Schwarzwald, das fast täglich den Rhein herunter geflößt wurde und meist in Ingelheim Station machte, in Frei-Weinheim zu kaufen, auch Holzabfall oder Holzbretter, die ebenfalls geflößt wurden. Das Dachgebälk des älteren (salischen) Dachstuhles der Burgkirche stammte um 1100 nachweislich aus dem Schwarzwald.

Waren es die Möglichkeiten, dort Erz abzubauen und zu verhütten, die die königlichen Verwaltungen veranlassten, diesen Wald keinen anderen Besitzern zu verschenken (wie den Binger Wald), sondern unter eigener, Ingelheimer Verwaltung zu behalten? Denn Erz verhüttet wurde dort nachweislich schon in der Römerzeit (Haupt/Diehl 2019, S. 434).

Im 16. Jahrhundert gab es einen langen Prozess beim Reichskammergericht, das am 7.7.1581 zugunsten der Gerichtshoheit bei den beiden Ingelheim entschied. Den Rechtszustand vor diesem Urteil und die Konflikte zwischen der Kurpfalz und den beiden Ingelheim beschreibt der Reutlinger-Bericht von 1587 aus Sicht der Oppenheimer Verwaltung, Blatt 194v-199.

Danach gehörte Daxweiler weiterhin den beiden Ingelheim, sowohl deren Adel als auch den Nichtadligen. Daxweiler Pfarrer wurden von Ingelheim ausgesucht und examiniert, Ingelheimer Gerichte hatten die Gerichtshoheit über Daxweiler und die Ingelheimer besaßen das Jagd- und Fischereirecht dort.

Am 31. August 1754 wurden die Rechte neu geregelt, indem der jährliche "Imbs" in eine Abgabe von 15 Gulden umgewandelt und die Holznutzung durch die Leute aus Daxweiler genauer definiert wurden.

Da die Bewirtschaftung des Waldes von Ingelheim aus wegen der großen Entfernung ziemlich umständlich war, wurden Teilnutzungsrechte des Waldes immer wieder verpachtet. Die beiden Ingelheim waren als Grundherren auch für die bauliche Unterhaltung von Kirche und Schule in Daxweiler zuständig.

Als das linke Rheinufer in napoleonischer Zeit zu Frankreich gehörte, wollten sich die Ingelheimer von dieser Baulast entledigen, wurden aber vom Präfekten Jeanbon St. André weiterhin dazu verpflichtet.

Erst in Hessen-Darmstädter Zeit kam nach langen Prozessen 1832 ein Vergleich zustande, durch den die beiden Ingelheim diese Baulast mit einer Abfindungssumme von 6.700 Talern endgültig ablösen konnten.

Die hohe Schuldenlast der Kriege im Zusammenhang mit der französischen Revolution brachte beide Ingelheim dazu, die gesamte Waldnutzung langfristig zu verpachten, um Darlehen aufnehmen zu können, und zwar am 26. September 1806 an ein Konsortium von Privatleuten aus Kreuznach und Stromberg auf die Dauer von 40 Jahren. Die neuen Pächter betrieben aber einen ziemlichen Raubbau zugunsten der Verhüttung von Erzen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Da die Daxheimer Rechte einer - aus Ingelheimer Sicht - geordneten Waldwirtschaft aber im Wege standen, versuchte man diese Rechte im 19. Jahrhundert abzulösen. Aber Daxweiler forderte viel Geld dafür, und zwar im Jahre 1848:

- für die Bauholzberechtigung 2.687 Taler
- für die Brennholzberechtigung 19.311 Taler
- für die Nutzung von dürrem Holz (Raffholz) 11.103 Taler
- für die Grasnutzung und das Weiderecht im Wald 48.700 Taler
- für das Mastrecht 23.100 Taler
- für den Steuerwert 24.152 Taler,
 
  zusammen also 129.053 Taler.

Dies konnten und wollten die beiden Ingelheimer Gemeinden aber nicht zahlen, weswegen es wieder lange Prozesse gab, die schließlich im Jahre 1888 zu einem Urteil über 76.000 Mark führten. Der Betrag wurde durch Vermittlung durch Wilhelm von Erlanger, der aus einem Frankfurter Bankiershaus stammte, beschafft.

Damit endete die Jahrhunderte lange Bindung des Ortes Daxweiler an Ingelheim, nicht aber der Besitz des Ingelheimer Stadtwaldes selbst, den es noch heute gibt.

Mittlerweile speisen mehrere Windgeneratoren auf dem Kandrich zu Gunsten von Ingelheim Strom ins Stromnetz ein, ein Jugendheim ist neu gebaut und stets ausgebucht, und die neu errichtete Gastwirtschaft "Emmerichhütte" ist ein gern aufgesuchtes Ausflugsziel. Und der Wald wird allmählich neu strukturiert: von der Fichten-Monokultur zu einem Mischwald mit überwiegend Laubbäumen, vor allem wieder den früheren Eichen.

Am Ende seines Aufsatzes zitiert Gaul die zusammenfassende Beschreibung dieser Verhältnisse durch Andreas Saalwächter:

"Auf regelmäßigem Wege hätte das nur geschehen können durch Verfügung eines Königs; denn der Wald ist ursprünglich doch gerade so gut Königsgut und Zubehör der Pfalz gewesen wie die Gemeinden Ingelheim selbst. Aber von einer solchen Schenkung wissen wir nichts. Dann ist nur der Weg einer allmählichen Entwicklung und Umbildung denkbar. Von Daxweiler wurde Jahrhunderte lang, sicher schon zur Zeit Ludwigs des Frommen, Holz an die Pfalz geliefert. Als dann die Könige nicht mehr so häufig und später gar nicht mehr dorthin kamen, blieben doch Beamte und zur Pfalz in Beziehung stehende Leute in Ingelheim ansässig. Diese Personen bildeten mit den größeren Grundbesitzern, den im „Gelübd“ vereinigten Adeligen, die beiden Gemeinden, und diesen muß allmählich die Grund- und Gerichtsherrschaft sozusagen „zugeflogen“ sein, was um so leichter geschehen konnte, als die Einwohner Daxweilers von jeher Unfreie waren (noch im Jahre 1568 mußten sie bei Eingehung der Ehe die Leibeigenschaft beiden Ingelheim versichern). Solche Dinge konnten im Mittelalter leicht vorkommen."


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Gs, erstmals: 02.03.09; Stand: 23.12.20