Autor: Hartmut Geißler
nach Hellriegel, Lorenz und Midelfort, Pohl, Rummel und Schmidt
für das Kurfürstentum Mainz: Pohl, Zauberglaube und Hexenangst 2021, S. 266-275
und unter Benutzung von Großwinternheimer Bürgermeisterrechnungen aus den Jahren 1543 und 1555 (im Ingelheimer Stadtarchiv, Rep. GW 13 )
1. Überblick über die abendländischen Hexenprozesse
2. Hexenprozesse in Ingelheim des Jahres 1543?
3. Links zu den Kopien der Rechnungen
4. Folgerungen aus den Bürgermeisterrechnungen
5. Zu den Kosten von Hexenprozessen
6. Zur Literatur
Geschätzt wird, dass zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert in Europa an die 70.000 Menschen gerichtlich als Hexen und Zauberer verfolgt und hingerichtet wurden, davon 40.000 bis 60.000 im heutigen Deutschland. Diese Verfolgungen kulminierten in den Jahrzehnten zwischen 1560 und 1630, in denen aber in der Kurpfalz von Seiten der reformierten Kurfürsten und ihrer Verwaltung eigentlich eine Politik verfolgt, bei der Hexenprozesse abgelehnt wurden.
Als sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Hexenglaube im Alpenraum (Westschweiz und Savoyen) entwickelte, entstand dort auch das Verfahren des weltlichen Hexenprozesses, nämlich eine Verschmelzung von Zauberei- und Ketzerprozess. Den (nicht überall so genannten) "Hexen" - überwiegend Frauen - wurde sowohl ein Schadenzauber vorgeworden als auch ein Abfall von Gott und stattdessen ein Pakt mit dem Teufel, was als Ketzerei aufgefasst wurde. Den "Hexen" (auch "böse Leut", "Nachtschad" oder "Unholde" genannt) wurden relativ bald folgende fünf Merkmale zugeschrieben, die viele der Beschuldigten unter der Folter auch bekannten:
- ein Pakt mit dem Teufel
- eine "Buhlschaft", d.h. Sex mit dem Teufel
- Flug (auf einem Besen o. ä.) zu einem Hexentanz
- Teilnahme am Hexentanz
- Schadenzauber
Dieser mörderische Aberglaube hatte wohl seine Ursache in der Klimaverschlechterung des 14. Jahrhunderts in einem Umfeld wachsender Volksfrömmigkeit und verstärkten Reliquienglaubens und suchte die Schuld für krisenhafte Entwicklungen, z. B. für Missernten, Viehseuchen, in einem unterstellten Schadenzauber durch missliebige Personen, z. B. Juden, aber eben auch bei Hexen. Ganz überwiegend gingen die Beschuldigungen von der örtlichen Bevölkerung selbst aus - also Hexenverfolgungen "von unten" - , bisweilen aber wurden sie auch von Obrigkeiten gefördert, die sich als Vorkämpfer gegen Ketzerei betätigten, z. B. im 17. Jahrhundert von Kurmainz und Kurtrier.
Da die Erfindung des Buchdruckes die leichte Verbreitung von Flugblättern begünstigte, wurden "Hexen"-Geschichten in reißerischer Form schnell und weit verbreitet. Tatsächlich wurden in den Dörfern damals noch vielfach Zaubereipraktiken angewendet, und paradoxerweise bediente man sich sogar zum Aufspüren von "Hexen" mitunter der Mithilfe von "Wahrsagern", also auch einer Form der Zauberei.
Die Beschuldigung von angeblichen weiteren Mit-Hexen unter der Folter führte mitunter zu regelrechten Prozess-Kaskaden. Eine aktive Rolle bei derKetzereibekämpfung spielten zu Beginn die Pfälzer Kurfürsten. Unter Ludwig IV. (1436-1449) fanden die ersten Hexenprozesse in Heidelberg statt, und zwar in den Jahren 1446/47. Sein Vorgänger Ludwig III. hatte schon in vorderster Front bei der Bekämpfung der Hussiten gestanden; er hatte als Reichsrichter Jan Hus am 6.7.1415 zum Scheiterhaufen in Konstanz geführt und war die treibende Kraft beim "Kreuzzug" gegen die Hussiten 1421 gewesen.
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging die Zahl solcher Prozesse stark zurück, abgesehen vom Hitze-Jahr 1540, wo vielerorts Hexen für die lang andauernde Trockenheit verantwortlich gemacht wurden. Aber ab 1561 kam es zu einem erneuten Anschwellen von Hexenverfolgungen in Europa.
In den Territorien des benachbarten Kurfürstentums Mainz häuften sich die Prozesse erst ab 1600 ganz erheblich, und zwar vor allem im Maintal von Höchst bis Miltenberg, während aus der Zeit der Ingelheimer Prozesse, also aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, in der Stadt Mainz selbst nur einige Verleumdungsklagen wegen angeblicher Hexerei und zwei "Hexen" - Prozesse in Trechtingshausen (1534 und 1549) bekannt sind (Pohl, S. 318). In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts behandelte das Mainzer Domkapitel Anklagen wegen Hexerei eher zurückhaltend.
Im Sammelband Die Geschichte der Mainzer Kurfürsten von 2021 heißt es dazu auf S. 221:
Das Bild des jungen, auf Sicherung und Ausbau des katholischen Bekenntnisses bedachten Kurfürsten [Johann Adam von Bicken; Gs] ist dadurch stark belastet, dass unter ihm seit 1603 die grassierenden Bestrebungen zur Hexenverfolgung große Ausmaße annahmen. Die schlechte sozio-ökonomische Situation in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts bewirkte im Erzstift einen regelrechten Hexenwahn, und das Verlangen nach Hexenprozessen unter der Bevölkerung stieg enorm. Zeitlich hatten die Hexenprozesse mit tödlichem Ausgang ihre Höhepunkte unter Erzbischof Johann Adam und unter seinem Nachfolger Erzbischof Johann Schweikard von Kronberg. Der Erzbischof ließ nämlich, wie vor allem in den Jahren von 1611 — 1618 sein Nachfolger, Johann Schweikard von Kronberg, hunderte Hexenprozesse in Kurmainz durchführen. Von 1601 — 1604 fanden unter Kurfürst Johann Adam von Bicken im ganzen Hochstift 650 Hinrichtungen vermeintlicher Hexen statt. Ähnlich massive Verfolgungen lassen sich in Süddeutschland nur in den Hexenprozessserien der Hochstifte Bamberg und Eichstätt sowie in Würzburg und Ellwangen nachweisen.
Ein späterer Chronist schrieb: »Unser Rheingau mit dem übrigen Erzstift mochte die göttliche Vorsicht preisen, dass sie Erzbischofs Johann Adam Regierungstage gekürzt hat, bey deren Verlängerung sicherlich zwey Drittheile seiner Unterthanen als angebliche Zauberer und Unholde des Feuertodes gestorben sey würden.«
Der zwanzig Jahre in Würzburg und Mainz lehrende Jesuit Nicolaus Serarius, ein namhafter Exeget und besonders bekannt durch seine mehrbändige »Geschichte des Erzstifts Mainz« schrieb: »Im Jahr 1603 unternahm der hochwürdigste Herr größere Anstrengung, zwei Seuchen auszumerzen. Die eine war die Aberkunst der Zauberer und Hexen, die andere der Häresie. Gegen erstere verordnete er scharfe Befragung und gerichtliche Untersuchungen und an manchen Orten wurden zahlreiche Weiblein als Hexen verbrannt.« Am 5. August 1603 ließ der Erzbischof den reformierten Pfarrer Anton Praetorius, Kämpfer gegen Hexenprozesse und Folter in Ober-Wöllstadt inhaftieren, entließ ihn aber einige Wochen später nach Protesten des Heidelberger Friedrich IV. Kurfürst von der Pfalz aus dem Gefängnis.
Insgesamt wird im selben Band die Zahl der im Kurfürstentum Mainz verbrannten "Hexen" von Herbert Pohl auf "deutlich über 2.000" geschätzt (S. 267).
Aus dem rheinhessischen Bodenheim sind zwischen 1612 und 1615 mehrere Hexenprozesse bekannt, bei denen 25 Frauen ums Leben kamen. Die Initiative ging aus vom Propst des Mainzer Klosters St. Alban und richtete sich vor allem gegen kurpfälzische Untertanen in Bodenheim.
Man kann also nicht annehmen, dass es etwa Vorbilder aus den kurmainzischen Nachbargemeinden gewesen seien, die die Ingelheimer ggf. dazu angeregt hätten.
Der Schwerpunkt der Hexenverfolgungen im Sponheimer und kurtrierischen Raum lag ebenfalls erst später, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Schmidt kennt die Ingelheimer Prozesse nicht direkt aus der Veröffentlichung Hellriegels, sondern nur aus einem Zeitungsbericht der Mainzer Allgemeinen Zeitung vom 8.10.1994 und erwähnt sie nur kurz unter "Großwinternheim" (S. 61).
An anderer Stelle (S. 477) vermutet er, dass es in der Zeit, als die Kurpfälzer Regierungen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Hexenprozessen gelangt waren - ab 1561, - in solchen Kurpfälzer Gebieten trotzdem "mitunter" noch zu Hexenprozessen gekommen sei, die ihre Gerichtsautonomie aus alten reichsfreien Zeiten erhalten hatten (er erwähnt Kaiserslautern und Odernheim). Dies könnte auch für den Ingelheimer Grund zutreffen.
Die im Folgenden zitierten Bürgermeisterrechnungen über Ausgaben bei Prozessen in Ingelheim stammen aus dem Jahre 1543 (und 1555), eigentlich aus einer Zeit, in der es - nach Schmidt - in der Kurpfalz kaum mehr zu Hexen-Prozessen kam. Oder waren es noch Nachwirkungen der Hitze- und Misserntenkatastrophe von 1540? Sie passen also, wenn sie denn wirklich Hexenprozesse waren, nicht ganz in die Zeitumstände. Aber bisher fehlen anderweitige Hinweise auf Ingelheimer Prozesse gegen "Hexen", sei es wegen der katastrophalen Quellenlage oder sei es deshalb, weil wirklich keine Hexenprozesse stattgefunden haben.
Es ist möglich, dass die Großwinternheimer Schultheißen keineswegs an allen Prozessen teilgenommen haben, so dass ihre Kostenrechnungen, die als einzige der drei Orte erhalten sind, auch deshalb nur einen fragmentarischen Einblick in die damaligen Prozesse bieten.
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem unter bayrischer Regentschaft wieder Hexenprozesse in der rechtsrheinischen Kurpfalz vorgekommen waren, blieben die wieder amtierenden kurpfälzischen Regierungen bei ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber Prozessen gegen vermeintliche "Hexen".
Im Schweizer Kanton Glarus wurde letztmalig im Jahre 1782 eine Frau als "Hexe" verbrannt und in Posen im Jahr 1795 .
Andreas Saalwächter vermutete in seinem Überblick über die Ingelheimer Geschichte (BIG 9, 1958, S. 23), dass es schon zu Beginn des 16. Jds. Hexenprozesse in Ingelheim gegeben haben könnte. Er schrieb:
"Den Lebensäußerungen des Glaubens stehen leider auch solche des Aberglaubens gegenüber. Nach allen Anzeichen haben auch in Ingelheim Hexenprozesse stattgefunden, wenn auch nicht in dem erschreckenden Maße, wie anderwärts. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts finde ich auffallend viele Verbrennungen, die ich nur durch den einreißenden Hexenaberglauben erklären kann. Im Jahre 1508 schwebte vor dem Ingelheimer Gericht gegen die Frau des Groß-Winternheimer Viehhirten eine Klage wegen verleumderischer Beleidigung. In dem Prozesse behauptete ein Zeuge gehört zu haben, ,"daß dieselb hab Adam Elsen ein zaubersin gescholten". In der Folge geschahen viele Hinrichtungen. Im Jahre 1517 wurden zwei Leute, Peter von Rosenfeld und Renchen Müllers Frau verbrannt, im Jahre 1521 vier Frauen gerichtet."
Hexenprozesse in den Jahren 1543/55?
Im Jahre 1972 veröffentlichte der Gau-Algesheimer Pfarrer Dr. Ludwig Hellriegel († 2011) in den Beiträgen zur Ingelheimer Geschichte (Band 22) eine erfundene Geschichte aus der Zeit der Hexenprozesse in Ingelheim, im Jahre 1543, der er sechs Jahre später (in BIG 28) einen Artikel über die zugrunde liegenden Bürgermeister-Rechnungen aus Großwinternheimer Archivalien nachschickte, aus denen die Einnahmen und Ausgaben der Großwinternheimer Bürgermeister bei verschiedenen Gelegenheiten hervorgehen.
Ich habe die Originaleinträge im Juni 2007 nochmals im Januar 2015 durchgesehen und zitiere aus ihnen im Folgenden diejenigen Kostennotizen des Großwinternheimer Bürgermeisters, die möglicherweise bei Hexenprozessen der Jahre 1543 bzw. 1555 angefallen sind. Ob es aber wirklich Prozesse gegen "Hexen" waren - dieser oder ein ähnlicher Begriff fällt an keiner Stelle - , lässt sich nicht beweisen, da keine Anklagepunkte genannt sind. Die Tatsachen, dass es zumeist Frauen waren, die z. T. mehrfach gefoltert wurden, und dass drei von ihnen schließlich verbrannt wurden, deuten jedoch auf Hexenprozesse hin. Hellriegel nahm sie offenbar als Tatsache an.
Die an anderer Stelle (in den Rechnungen von 1555) erwähnte peinliche Befragung eines "Weibs von Ober-Ingelheim" könnte z. B. auch in einem anderem Zusammenhang stehen; es wurde nämlich beschlossen, sie zu "besichtigen, ob sie schwanger sey" und außerdem scheint es einen Zusammenhang mit einem dann auch gefolterten und hingerichteten Pferdedieb zu geben.
Weitere Kostenrechnungen des Bürgermeisters ergaben sich z. B. bei Prozessen gegen einen Kuhhirten und einen "Lein-Knaben", d. h. einen bei der Treidelei am Rheinufer beschäftigten "Stromer", der gleichfalls gefoltert wurde, sowie bei Hochzeitsfeiern, z. B. "Item i g vii alb ist verdronken worden zu johan Nassauers hochzeit". (1555, S. 5 r)
Aus den beiden Ingelheim (Ober- und Nieder-Ingelheim) selbst sind überhaupt keine Prozessakten aus dem späteren 16. und beginnenden 17. Jahrhundert mehr erhalten, und die anderen Bürgermeisterrechnungen aus Großwinternheim haben nach Auskunft der Archivleiterin keine weiteren Aufschlüsse ergeben.
Haftlokal war möglicherweise ein Gefängnis im Rinderbachtor, das auch im 19. Jh. als Polizeigefängnis genannt wird (StA Ing., Rep. I/4669). Der Malakoffturm hingegen ist in dieser Funktion niemals erwähnt oder gar "Hexenturm" genannt worden wie in anderen Gemeinden mit vielen Hexenprozessen (z. B. in Oppenheim und vielfach im Elsass). Wo das immer wieder erwähnte "Kreuz" war, an dem die peinlichen Vernehmungen stattfanden, ist unbekannt. War es das "uralte Steinkreuz", das Krämer direkt außerhalb des Rinderbachtores erwähnt? Es muss sicherlich immer derselbe Raum gewesen sein, in dem man die Folterinstrumente installiert hatte. Diese Vermutung würde auf das Rinderbachtor als Gefängnis hinweisen.
Die Hinrichtungsstätte befand sich beim Galgen in Nieder-Ingelheim (heute Parkplatz vor dem Boehringer-Eingang Nr. 1 am "Roten Turm").
Leider sind bei den Ausgabennotizen kein Datum und noch nicht einmal Wochentage verzeichnet, aus denen man auf den wahrscheinlichen Ort der Vernehmungen und Beratungen schließen könnte.
Die "Peinliche Halsgerichtsordnung" aus der Regierungszeit Kaiser Karls V., publiziert 1534, bestimmte im 109. Artikel ("Straff der zauberey") u.a.: "so jemandt den leuten durch zauberey schaden oder nachtheyl zufügt, soll man straffen vom leben zum todt, vnnd man soll solche straff mit dem fewer thun".
Hexenprozesse fanden jedoch meist als Ausnahmeverfahren statt, die sich nicht an die Verfahrenregeln dieser "Carolina" genannten Gerichtsordnung hielten. So wurde mehrfach hintereinander gefoltert, auch wenn keine gerichtsfesten Indizien eine "Schuld" nahe legten, sondern nur haltlose Verdächtigungen durch andere Personen, und ein fehlendes Geständnis trotz mehrfacher Folter wurde nicht als Beweis der Unschuld gewertet ("purgiert"), sondern als Hinweis auf einen besonders starken Pakt mit dem Teufel.
Gegen solche Praktiken ging die Kurpfälzer Verwaltung seit 1561 (unter dem calvinistischen Kf. Friedrich III.!) auf ihrem Gebiet energisch vor, obwohl die Bevölkerung in einigen Orten, angeregt durch Prozesse in der Nachbarschaft anderer Landesherren, sich mehrfach darum bemühte.
Die folgenden Notizen über Bürgermeister-Rechnungen stammen alle aus dem Ingelheimer Stadtarchiv unter der Signatur "Rep. GW 13" (in der Reihenfolge des Rechnungsbuches von 1543, anders bei Hellriegel; die Nummerierung 1-12 ist von mir nur für diese Webseiten vorgenommen worden.)
Rechungsnotizen aus dem Jahr 1543:
auf Innen-Doppelseite 3:
1. Item iii gulden und viii 1/2 alb hon ich aus geben sein uff gangen und vorziert worden do man die Frau von weinheim vor recht gestalt hat;
auf Innen-Doppelseite 5:
2. Item iii 1/2 alb und iiii Hlr ist vordronken worden do man am Kreutz ist gewest und berodtschlagkd die zwey weiber zu nieder ingelheim in hafft an zu nee. [nee = nehmen];
3. Item iii alb ii d ist vordronken worden do man an Kreutz ist gewest und beradtschlagkd den nach Richter zu holn. [Nachrichter = Scharfrichter];
4. Item ii alb ii d ist vorzirt worden do man am Kreutz ist gewest und den nachrichter zum zweiten mal geholt und die zwey weiber vor recht zu steln beschlossen;
5. Item ii alb ist vordronken worden do man am Kreutz ist gewest und beschlossen die drey Weiber zu greiffen zu elssum Winternheim und ober ingelheim;
6. xv gulden und x alb ist uff gangen und vorzirt worden die zwey weiber zu verbre[nn]e[n] vonn nider ingelheym;
7. Item iii alb ist vordronken worden do ma(n) am Kreutz ist gewest und beschlossen das Weib von elsum zum zweyten mall pheinlich zu frogn;
8. Item iii alb ist vordronken worden do man am Kreutz ist gewest und berattschlag die Schmitr (?) von ober ingelheim vor Recht zu steln;
9. Item ii 1/2 alb ist vordronken worden da man am Kreutz ist gewest und beraidt schlag schaub pratt und die schlosserin ledig zu lossen;
10. Item iii albus ist vordronken worden do man am Kreutz ist gewest und beratschlag Leinge von elsum ledig zu lossen;
11. Item xi g xviii alb ii d ist vorzirt worden und uff gangen do man die Schmidin vonn ober Ingelheim [ = Nr. 8?) vorbrant hatt;
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Und im Rechnungsbuch von 1555 findet sich ein weiterer Eintrag, der auf einen Hexenprozess hindeuten kann, aber gleicfalls nicht muss:
12. Item ii 1/2 alb ist verdroncken worden do man am + ist gewest der pheinlich fro halber des weibs von obringelheim; vergrößerte Abbildung
(= ... da man am Kreuz gewesen ist wegen der peinlichen Befragung der Frau aus Ober-Ingelheim)
1. In den Jahren 1543 ff. könnten in Ingelheim vielleicht mehrere Hexenprozesse stattgefunden haben, vielleicht in Kettenform, auch wenn der Begriff "Hexe" o.ä. nicht gebraucht wurde.
2. Es gab mindestens drei Verbrennungen von Frauen.
3. Der Bürgermeister von Großwinternheim, der Schultheiß, war Mitglied des Reichsgerichts oder Rittergerichts oder eines ad-hoc-"Ausschusses" wie in kurtrierischen Dörfern (Rummel, S. 27 ff.). Seit alter reichsunmittelbarer Zeit hatte sich das Reichsgericht im Ingelheimer Grund das Recht der eigenen Blutgerichtsbarkeit erhalten, d.h. dieses Gericht konnte also auch Todesstrafen verhängen, um die es bei Hexenprozessen ja ging.
4. Die Verhöre und Verhandlungen fanden "am Kreuz" statt; war dies in Ober-Ingelheim in der Nähe des Rinderbachtores?
5. Während dieser Prozesse wurde üblicherweise auch (Wein) getrunken und anschließend üblicherweise ein "Imbiss" in geselliger Runde eingenommen. 3 1/2 bis 4 1/2 Albus waren nach Pohl die üblichen Kosten für eine Mahlzeit im Wirtshaus. Rummel beschreibt solche Fress- und Saufgelage ausführlich (S. 187 ff.). Die Kosten bei den Verbrennungen von Nr. 6 und 11 sind die höchsten: etwa 100 mal so viel wie bei den Verhören! Möglicherweise sind darin aber weitere Kosten außer für Speisen und Getränke des Schultheißen enthalten, worauf das sonst nicht benutzte Begriffspaar "ist uffgangen und vorzirt" hinweisen könnte. Draufgegangen wofür? (vgl. das längere Zitat aus Pohl weiter unten!)
Bezeichnungen und Relationen der Münzbeträge, gültig für Ingelheim im Jahre 1577 (nach Pohl S. 197):
- "g" = 1 Gulden ( = 30 Albus)
- "alb" = 1 Albus = 1 Weißpfennig (aus Silber; 1 Albus = 8 Pfennige)
- "d" = 1 "denarius" = Pfennig; das für den Pfennig im deutschen Sprachraum gebrauchte Symbol "₰" ist ein stilisiertes "d".
- "Hlr" = 1 Heller (1 Albus = 12 Heller)
6. Fast alle Angeklagten waren Frauen.
7. Zwei ("Schaub Pratt", wohl ein Mann; eine "Schaube" war ein Überrock für Männer, und "die Schlosserin" (eine Frau) wurden wieder frei gelassen (Rechnung Nr. 9). Ging es hierbei um Ehebruch?
8. Leinge von Elsheim (falls identisch mit dem "Weib von elsum" in Nr. 7) wurde zweimal gefoltert und dann frei gelassen (Rechnung Nr. 7 und 10).
9. Zwei Frauen (Nr. 6) aus Nieder-Ingelheim, namenlos, vielleicht aus niederem Stande, wurden vom Scharfrichter durch Verbrennen hingerichtet. Dies war der "nachrichter", der von woanders geholt werden musste, vielleicht aus Bingen, woher die Ingelheimer Schöffen nach dem Reutlinger-Bericht von 1587 (S. 182 l) heimlich den Nachrichter holten.
10. Ebenso verbrannt wurde die "Schmidin" von Ober-Ingelheim (Nr. 11).
11. Alle Personen dieser Prozesse stammten aus Orten des damaligen Ingelheimer Reichsgrundes (Frei-Weinheim, Nieder- und Ober-Ingelheim, Elsheim).
"Wie ein Geheimbericht des Dieburger Kellers Wolf Altvater vom 8. Januar 1629 belegt, kam es dabei gelegentlich auch zu Unregelmäßigkeiten, 1602/03 und auch noch 1612 wurde für den Imbiss der gesamte Konfiskationserlös [in der Regel wurde ein Teil des Besitzes der Hingerichteten, dem Erbanteil eines Kindes entsprechend, konfisziert; aber auch Freigelassene mussten die Kosten des Verfahrens tragen! Gs] verbraucht. Insbesondere dem Wein wurde bei den Verhören und nach den Gerichtstagen regelmäßig zugesprochen.
Wenn die Besoldungsordnung auch diesem Mißbrauch eindämmen wollte, so erzielte sie diesbezüglich keine durchschlagenden Erfolge: Auch 1628/29 wurde dem Gericht nach Ausweis der Dieburger Stadtrechnungslisten noch Wein ausgeschenkt. Anläßlich der Folterung Endreß Stentzels wurden am 23. und 24. (!) Dezember 1601 in Bieber von zwei bis drei Examinatoren dreißig Maß Wein konsumiert, in einem anderen Fall verzehrte das Halsgericht sogar achtzig Maß! Üblich war außerdem, sich auf Kosten des Delinquenten bewirten zu lassen.(!)
Die durchschnittlichen Preise für Morgensuppen, Mittag- und Abendessen wurden bereits genannt. Alle Ausgaben zusammengerechnet, kostete 1600/01 ein Verfahren in Bieber durchschnittlich 54 Gulden, 1 Albus und 4 Pfennige. Das entsprach in diesem Fall etwa 70% des durchschnittlichen Konfiskationsertrages. Der Anteil der Zehrungskosten hieran belief sich im Schnitt auf 21 Gulden, 1 Albus und 7 Pfennige, etwa 32% des durchschnittlichen Konfiskationsertrages oder 47,4% der Gesamtkosten.
Teurer war der Hexenprozeß in Neudenau. Das nicht einmal einen Monat währende Verfahren gegen die Schmidtbenderin kostete die Hinterbliebenen 103 Gulden und neun Pfennige.
Gegenüber den Zehrungskosten der Prozessbeteiligten schlugen die Kosten für den Unterhalt der Gefangenen kaum zu Buche: Sie beliefen sich 1600-01 in Bieber im Schnitt auf 2 Gulden, 1602 sogar nur auf 2 Albus und 6 Pfennige.
Auch über die Entlohnung der unterschiedlichen Dienstleistungen gegen die Bieberer Rechnungslisten, namentlich die der Jahre 1600 bis 1601, exemplarischen Aufschluß. Für Botengänge zahlte [man] zwischen 7 Albus und 2 Gulden. Die Wächter erhielten pro Tag und Nacht zwischen drei und vier Albus. Der Büttel bekam einen Gulden, Schreiber, Defensor und Schultheiß je zwei Gulden, der Keller, der bei den Gerichtsterminen als fiskalischer Ankläger auftrat, zwei Gulden bzw. 1602 zwei Gulden und 21 ½ Albus. Die beiden Mainzer Advokaten Johann Pfaff und Johann Traberger berechneten 1595-96 zu Flörsheim auch dann einen erhöhten Satz von drei Gulden pro Kopf, wenn mehrere Delinquenten gleichzeitig vor Gericht gestellt wurden. Hierüber beschwerte sich die Gemeinde mit Erfolg beim Mainzer Domkapitel, 'dan weil es fast eine muhe were, sollte hierumb in denselben fällen, waß wenigers von 3 fl genommen werden'. Das Schätzen des Konfiskationsgutes wurde mit 4 Albus und 4 Pfennigen bezahlt.
Die höchste Besoldung erhielt üblicherweise der Scharfrichter: Der Miltenberger Nachrichter, der 1590 für die Exekutionen in Freudenberg angeworben werden sollte, war dazu bereit, 'wenn er von einer jeden Person zu torquieren und zu richten denselben Lohn, den er im Stift Mainz bekommt, nämlich 20 fl und mäßig Zehrung erhalte'.
In Bieber wurde er während der Jahre 1600 - 1602 bereits mit mindestens 10 ½ fl pro Verfahren bedacht, sein Gehilfe mit einem Gulden, die höchste Eintragung nennt sogar 31 ½ fl für beide.
In Neudenau profitierte der Wirt Niclas Senff in besonderem Maße von den Prozessen: Nicht genug damit, daß bei ihm der Wein gekauft und Examinatoren und Schöffen beköstigt wurden, als Schöffe erhielt er außerdem seinen Obolus und hatte durch seine Teilnahme an den Verfahren außerdem noch in besonderer Weise Einfluß auf den Fortgang der Verfahren." (So weit Pohl, S. 200/201)
Eine gute und leicht zu erreichende Einführung in den Forschungsstand zu Hexenprozessen geben Sönke Lorenz und H. C. Erik Midelfort in ihrem Aufsatz "Hexen und Hexenprozesse. Ein historischer Überblick", in: historicum.net, URL: www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/3353/ (07.02.17; 15.04.21 nicht mehr aktiv)
Eine sehr ausführliche Darstellung der Haltung der Kurpfalz zu den Hexenverfolgungen hat Jürgen Michael Schmidt im Jahre 2000 veröffentlicht. Für Kurtrier und Sponheim liegt die Arbeit von Walter Rummel vor (1991), mit sehr vielen Verfahrensdetails, und für Kurmainz die von Herbert Pohl (1998).
Gs, erstmals: 28.06.07; Stand: 15.04.21