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Trithemius über Karlssagen im Augustiner-Chorherrenstift


Autor: Hartmut Geissler

Aus: Johannis Trithemii Chronicon Hirsaugienese, Bd 2, Bayerische Staatsbibliothek München Cgl 704, S. 111 a+r (2021 online unter: daten.digitale-sammlungen.de/~db/0009/bsb00092705/images/index.html)

(mit Abweichungen von Würdtwein zitiert, Monasticum Palatinum Bd. 2, Mannheim 1794, in Anm. S. 163 f. )

Zu weiteren Sagen über Karl den Großen

 

Der Autor

Johannes Trithemius OSB, eigentlich Johannes von Trittenheim (* 1. Februar 1462 in Trittenheim; † 13. Dezember 1516 in Würzburg) wurde schon ein Jahr nach seinem Eintritt mit 21 Jahren (!) zum Abt der Benediktinerabtei Sponheim gewählt. Obwohl er nie eine Universität besuchte, galt er seinen Zeitgenossen als vielseitiger Gelehrter und Humanist. Nach Konflikten mit den Sponheimer Mönchen verließ er 1506 dieses Kloster (und seine reichhaltige Bibliothek) und fand eine neue Stelle als Abt des Klosters St. Jakob in Würzburg. Als Prediger reiste er durch große Teile Deutschlands und besuchte viele Bibliotheken. Selbst verfasste er über 90 Werke. Der Text des "Chronicon Hirsaugiense" ist nun als lateinische Handschrift mit der Signatur Clm 704 durch die Bayerische Staatsbibliothek online gestellt worden.
 

 

Trithemius erzählt über die Propstei, deren Gründung er dem Jahre 1360 seiner Chronik zuordnete:

Apud ingelenheim regiam villam moguntine diocesis inter moguntiam civitatem et bingen oppidum medio itinere sitam: aulam eatenus regalem atque imperialem cenobium fecit canonicorum regule sancti augustini episcopi quondam ipponensis in africa: constituens illis eiusdem vite prepositum.

Quod quidem cenobium pleno iure subiecit abbati monasterii sancti caroli in praga eiudem religionis: cuius hodie est fratres et prepositum quotiens fuerit necessarium instituere: et locum ut superior visitare. Constituit etiam predictus imperator quartus neminem ad canonicatum in eo cenobio debere admitti, qui natus de boemia non esset quod ita servatur usque in hunc diem.

Distat vero itinere a moguntia recto versus bingen oppidum per terram ingelnheim villa imperialis memorata miliaribus germanicis duobus:

In cuius aula que modo est cenobium sicut diximus carolus imperator quondam magnus creditur fuisse natus: qui non minus rex fuit francorum orientalium ac totius pene germanie: immo primordialius quam omnium gallorum qui nomen franconicum ab orientalibus et non aliunde susceperunt. In memorato canonicorum cenobio locus est bibliothece tenuis in quo nunc altare constructum cernitur: ubi lectus olim nativitatis caroli cesaris magni habebatur. In eadem quoque regali camera que nunc et bibliotheca est canonicorum et capella carolus ipse magnus gladium celitus (=coelitus) fertur ab angelo suscepisse, in quo devicit hispaniam: et iter ad sanctum iacobum christianis tutum paravit in galiciam. Qui gladius non multe longitudinis hodie apud nurenbergenses ostenditur: et inter sanctorum imperiales reliquias habetur.
 

Übersetzung (Gs):

Bei Ingelheim, einem Königshof der Mainzer Diözese zwischen der Stadt Mainz und Bingen, liegt mitten auf dem Weg ein Ort: einen bis dahin königlichen und kaiserlichen Hof (Aula = wohl nur der Westteil der ehmaligen Pfalz) machte er (Karl IV., der im Text zuvor erwähnt ist) zu einem Kloster (coenobium) von Kanonikern der Regel des Augustinus, des einstigen Bischofs von Hippo in Afrika; und er setzte für sie einen Propst derselben Regel ein.

Dieses Kloster nun unterstellte er mit allen Rechten dem Abt des Klosters des Hl. Karl in Prag nach derselben Regel; dessen Aufgabe ist es heute, die Brüder und den Abt so oft wie notwendig einzusetzen, und den Ort wie ein Superior zu visitieren. Es setzte auch der erwähnte vierte Kaiser (Karl) fest, dass niemand zur Gemeinschaft in diesem Kloster zugelassen werden dürfe, der nicht in Böhmen geboren sei, was so bis zum heutigen Tag gehandhabt wird.

Auf geradem Landweg von Mainz nach Bingen liegt das erwähnte kaiserliche Gut Ingelheim zwei deutsche Meilen (à 7,5 km) entfernt.

In dessen Saal (Aula), der nun ein Kloster ist, wie wir sagten, glaubt man, sei einst Karl der Große geboren worden. Dieser war genauso ein König der Ostfranken und fast ganz Germaniens – im Gegenteil, mehr noch als aller Gallier, die den fränkischen Namen von den östlichen (Franken) bekommen haben und nicht von anderswo her.

Im erwähnten Kanoniker-Kloster gibt es einen Ort einer kleinen Bibliothek, an dem jetzt ein erbauter Altar zu sehen ist, wo sich einst das Geburtsbett von Kaiser Karl dem Großen befunden hat. Auch berichtet man, dass in derselben königlichen Kammer, die jetzt sowohl Bibliothek der Kanoniker als auch Kapelle ist, Karl selbst vom Himmel ein Schwert von einem Engel bekommen haben soll, mit dem er Spanien besiegte und den Weg zum heiligen Jakob nach Galizien sicher machte. Dieses Schwert von einer nicht großen Länge wird heute bei den Nürnbergern gezeigt und unter den kaiserlichen Reliquien der Heiligen aufbewahrt.
 

Erläuterungen und Kommentare

Dieser auch von Würdtwein (mit einigen Abweichungen) in einer längeren Anmerkung (S. 163 f.) zitierte Bericht über die kleine Bibliothek mit einem Altar, wo früher das Geburtsbett Karls des Großen aufbewahrt wurde (habebatur) und wo dieser das Reichsschwert durch einem Engel vom Himmel erhalten haben soll, bildet die einzige Quelle für diese Informationen. Trithemius formulierte sie übrigens mit Vorsicht, denn die Begriffe "creditur", "fertur" drücken eine zweimalige Distanzierung aus: "man glaubt", "es wird überliefert". An der sagenhaften Überlieferung als solcher ist aber nicht zu zweifeln, und die Augustiner könnten einen solchen Raum, der wohl schon lange als Geburtsraum Karls angesehen wurde, durchaus übernommen und vielleicht den Gedächtnis-Altar darin gebaut haben; sicherlich haben sie diese Sagen nicht erfunden. Entstanden könnten sie schon in staufischer Zeit sein, also eineinhalb Jahrhunderte zuvor.

Solche Sagen sind ein Zeugnis für eine fortwirkende und ihrem Gründungszweck entsprechende Karlsverehrung im Augustiner-Chorherrenstift des 14. und 15. Jahrhunderts, ebenso wie ein Ablass von einem Jahr und 40 Tagen durch Papst Urban VI. (1386) für Besucher der Kirche am "St. Wenzels- und Karls der Grossen-Tag". In der gleichfalls von Würdtwein überlieferten erzbischöflichen Ablass-Urkunde von 1407, die reuigen Gläubigen 40 Tage Ablass an einem Nupurgis-Altar in der Saalkirche zusicherte, wird einleitend angeführt, diese für die Augustiner renovierte Kirche sei mit Zustimmung des Erzbischofs Gerlach von Mainz den beiden Heiligen, "dem Märtyrer, Patron und Herzog von Böhmen, Wenzel, aber auch dem erwähnten großartigen Bekenner, dem heiligen Karl dem Großen, dem göttlichen Kaiser der Römer und Augustus geweiht" worden. Das Kloster und damit wohl auch die Kirche, von der ein früheres Patrozinium nicht bekannt ist, wurde von Karl IV. den beiden Heiligen Wenzel und Karl geweiht.

Bemerkenswert ist im Übrigen die nationale Abgrenzung gegenüber den Franzosen durch Trithemius mit seiner unzutreffenden Theorie über die Entstehung des Namens "Franken". Aber vielleicht konnte man damals in Würzburg, das bekanntlich in "Franken" liegt, auf solche Gedanken kommen.

 

Gs, erstmals: 21.06.15; Stand: 28.12.21