Autor: Hartmut Geißler
nach Petry, S. 254ff.
Mit dem Anschluss des linken Rheinufers an Frankreich und der Zerschlagung des Mainzer Kurfürstentums wurde auch das Mainzer Erzbistum aufgelöst, das ehrwürdigste in Deutschland. An seine Stelle trat in unserem Raum ein neues Bistum Mainz, das sich mit den Grenzen des Donnersbergdepartements deckte und damals zum Erzbistum Mecheln gehörte. Neuer Bischof wurde der Elsässer Joseph Ludwig Colmar.
Zur Kantonatspfarrei wurde Algesheim bestimmt, der die kleineren Pfarreien des Kantons Oberingelheim unterstellt waren. Die wenigen lutherischen Kirchen wurden seit 1802 einem Lokal- und Generalkonsistorium in Mainz zugeordnet, für die Reformierten war die Konsistorialkirche in Ober-Ingelheim zuständig.
Viel gravierender als die organisatorische Neuordnung war die Verstaatlichung (Säkularisation) des kirchlichen, d.h. überwiegend katholischen Grundbesitzes mit seinen Einkünften, die vor allem geflüchteten Adligen zugestanden hatten. Durch die Enteignung der Kirche und vieler Adelsgüter war ungefähr ein Drittel des linksrheinischen Grundbesitzes an den französischen Staat gefallen, der die Güter versteigern ließ, weil Napoleon für seine Kriege enorme Geldsummen brauchte.
Ziel bei den Versteigerungen, die 1803 begannen, war es aber auch, dass durch Stückelung von großen Grundstücken neues Eigentum bei Bauern geschaffen werden sollte. Trotzdem hatten viele Bauernfamilien nicht das Kapital, um sich an den Versteigerungen von demjenigen Großgrundbesitz zu beteiligen, auf dem sie als Pächter saßen. Banken zur Vorfinanzierung gab es auf dem Lande damals noch nicht. Also gelangte ein erheblicher Teil der versteigerten Güter in die Hände von Spekulanten, die sie baldmöglichst mit Gewinn weiter zu verkaufen suchten.
In Ingelheim waren von diesen Vorgängen durch die Verstaatlichung der Jesuitenmission am Belzer und den Verkauf der Besitzungen Ingelheimer Adliger betroffen, die allerdings vielfach von ansässigen Bauernfamilien gekauft wurden.
a) Jesuitenmission(Stiftung des Generals von Closs): Weil die Gemeinde Nieder-Ingelheim an der Tätigkeit dieser Armenmission festhalten wollte, entspann sich ein längerer Rechtsstreit, den der Präfekt schließlich 1806 abbrach, worauf das Gut versteigert wurde. Näheres bei Saalwächter
b) Besitz Ingelheimer Adliger, der offenbar in der Regel nicht enteignet und versteigert, sondern mehr oder weniger freiwillig verkauft wurde, so die Höfe...
- das Hofgut Westerhaus: Zwar versuchte Friedrich Carl Joseph von Ingelheim (kaiserl. österr. und kgl. bayr. Geheimer Rat, Erzkämmerer des Hzgt. Nassau, Ritter des Malteserordens, 1777-1847) noch, seinen Anspruch auf das Westerhaus aufrecht zu erhalten, was aus seiner steuerlichen Veranlagung durch die Kantons-Verwaltung hervorgeht. Doch schließlich resignierte er und verkaufte das Anwesen für "den geringsten Teil des Wertes, da er nicht Unterthan der Jakobiner und eines gewaltthätigen Emporkömmlings sein wollte", wie es in Echters Stammbaum überliefert wird.
- der Haxthäuser Hof, ein ehemaliges Augustinerinnenkloster, auf dem Mainzer Berg südlich von Wackernheim
- Sporkenheim, bis zur französischen Revolution gleichfalls Besitz der Familie von Ingelheim: Hier kam es 1807 zur Aufteilung des adeligen Besitzes an die ehemaligen Pächter-Familien, die z.T. bis heute die Sporkenheimer Höfe besitzen:
• Johann Fezer Vater und Sohn
• Michael Beck
• Johann Lang
• Gottfried Pitz
• Nikolaus Lang
• Kasimir Weiß
Gemeinschaftlich blieben ein Hirtenhaus mit Hof und Garten sowie ein Backhaus.
- die Griesmühle: Die Familie Horneck von Weinheim hatte schon lange Besitz in Ingelheim. In einem Artikel über die Mühlen Ingelheims (= BIG 33, S. 42/43) ist eine Urkunde abgebildet, die den Verkauf der Mühle aus dem Besitz eines Freiherren von Horneck an die Familie Weyell im Jahre 1803 belegt.
- Adelshöfe in Ober-Ingelheim: Auch sie scheinen in jenen Jahren in den Besitz bürgerlicher bzw. bäuerlicher Besitzer übergegangen zu sein, ohne dass etwas über Enteignungen von Adligen bzw. von Versteigerungen französischen "Nationaleigentums" überliefert ist.
Als Ersatz für den weggefallenen kirchlichen Unterhalt von Pfarrern und Lehrern übernahm der französische Staat die Gehaltszahlungen der katholischen Pfarrer, ähnlich auch bei den Reformierten. Allerdings wurden auch die evangelischen Gemeinden dazu herangezogen, denn für die Erhaltung der Kirchengebäude wurde ein Fonds errichtet, in den die Gemeinden 10% aus den Erträgen aus Grundbesitz einzahlen mussten. Die lutherische Kirche in Ober-Ingelheim musste allerdings 1807 wegen Baufälligkeit ganz geschlossen werden.
In Nieder-Ingelheim wurde die (katholische) Remigiuskirche auch für den evangelischen Gottesdienst geöffnet, denn die Saalkirche war schon im September 1794 durch Revolutionstruppen enteignet worden und wurde weiterhin zu anderen Zwecken (Pferdestall, Militärhospital, Militärgefängnis und später nur noch als Heu- und Strohmagazin) verwendet. Das meiste Inventar wurde dabei zerstört und der Bau sehr mitgenommen.
Nach Philipp Krämer, Burgkirche, S. 21, fand in der Burgkirche statt Gottesdienst eine Feier für die "Göttin der Vernunft" statt:
Weißgekleidete Mädchen umstanden den Altar in der Kirche und führten einen Tanzreigen auf. Ein hiesiger Bürger hielt als Volkstribun von der Kanzel herab eine Rede an das versammelte Volk. Die wertvollen im Chor befindlichen Glasmalereien wurden eingeworfen und die alten Grabdenkmäler, besonders deren Wappen, verstümmelt. Das aus schwarzem Marmor gefertigte Grabdenkmal der Familie von Villanova mit je acht Ahnenwappen entging nur dadurch der Zerstörung, weil ein wohlgesinnter hiesiger Bürger einen Bretterverschlag darüber anfertigen ließ.
Im Jahre 1798 wurden die bisherigen Kirchenbücher für Personenstandseintragungen geschlossen und staatliche Standesämter eingerichtet (nach dem Erlass Rudlers über das "Zivilstandswesen" vom 1. Mai 1798). Die Möglichkeit einer Ehescheidung wurde eröffnet, damals allerdings nur sehr wenig genutzt.
Gleichzeitig wurde der Revolutionskalender eingeführt, der allerdings bei der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stieß; die Sonntage sollten nicht mehr der Arbeitsruhe dienen und die Kirchen wurden für die staatlichen "Dekadenfeiern" verwendet. Trotzdem hielt die Bevölkerung an den Sonntagen fest, und 1805 musste der Revolutionskalender schrittweise wieder abgeschafft werden.
Die Säkularisierung und die Privatisierung kirchlichen Grundbesitzes führten zu einer nachhaltigen wirtschaftlich-sozialen Umschichtung. Es verschwanden die persönlichen Beziehungen zu auswärtigen kirchlichen Grundherren, ebenso wie die Beziehungen zu den Adligen, die das linke Rheinufer verlassen hatten.
Der "frei" gewordene, d.h. enteignete kirchliche und adlige Grundbesitz konnte ab 1802 von jedermann, auch den bisherigen Lehensträgern und Zinspflichtigen ersteigert werden. Petry weist allerdings darauf hin, dass gerade diese Personen beim Ersteigern von Gütern der eigenen Pfarreien sehr zurückhaltend waren. Dass nun der mittelalterliche Kirchenzehnt abgeschafft war, stieß aber überwiegend auf Zustimmung, da er schon lange nicht mehr für den ursprünglichen Zweck (Sicherstellung der Pfarrgeistlichkeit) verwendet worden war, sondern zu mindestens zwei Dritteln irgendwelche Patronen ohne diesbezügliche Sorgepflicht zugeflossen war.
Gewinner dieser Besitzumschichtung waren oft Spekulanten, die Besitzungen billig ersteigerten und später mit Gewinn weiterverkauften. Petry schätzt, dass die Spanne zwischen Armen und Reichen in dieser Zeit eher größer als kleiner geworden ist.
Demgegenüber hält Dumont fest, dass dadurch keine tiefgreifende Besitzumschichtung erfolgte, sondern eher eine Stabilisierung der Besitzverhältnisse, zumal die Inhaber von Erbpacht-Grundstücken diese durch eine geringe Ablösegebühr in Vollbesitz übernehmen durften.
An die verschwundenen Adligen und die Klöster erinnerten in der folgenden Zeit nur mehr Grabdenkmäler und kirchliche Einrichtungsgegenstände, die aus den aufgehobenen Mainzer Klöstern in die Umlandgemeinden abgegeben wurden, so Orgel, Kanzel und Stühle aus dem Mainzer Weißfrauenkloster (1802 aufgehoben, Schillerplatz 7), die der Remigiuskirche in Nieder-Ingelheim zu Gute kamen.
Die versteigerten Bücher der aufgehobenen Ingelheimer Jesuitenmission wurden zum Teil von der Mainzer Stadtbibliothek erworben.