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Kämpfe, Einquartierungen, Requirierungen und Zwangsarbeit in Gau-Algesheim


Autor: Hartmut Geißler
nach Karl Joh. Brilmayer


Als nach den Revolutionskriegen die Verwaltungsgrenzen neu gezogen wurden, in bewusster Missachtung alter Zugehörigkeiten, wurde Gau-Algesheim, das jahrhundertelang zu Kurmainz gehört hatte, dem Kanton Ober-Ingelheim zugeschlagen, und das, obwohl das Verhältnis zwischen Gau-Algesheimern und den Einwohnern des Ingelheimer Grundes manchmal von Spannungen gekennzeichnet war, die zu gelegentlichen Reibereien zwischen den beiden kurfürstlichen Regierungen von Mainz und Heidelberg (Pfalzgraf bei Rhein) führten. Die statistischen Daten Gau-Algesheims sind daher für diese Zeit der Themenseite "Kanton Ober-Ingelheim" zu entnehmen.

Glücklicherweise existiert zu Gau-Algesheim eine detaillierte Stadtgeschichte, die Karl Joh. Brilmayer 1883 in Mainz veröffentlicht hat und für die es in Ingelheim keine Entsprechung gibt. Vieles von dem, was Brilmayer berichtet, wird man - ähnlich - auch in den anderen Orten des Kantons annehmen müssen. Daher soll hier darauf eingegangen werden.

Brilmayer betrachtete die französische Zeit nicht unter dem Aspekt, welche Fortschritte diese Zeit für unsere Region gebracht hat, wie das z. B. die Statistischen Jahrbücher tun, sondern ausschließlich aus dem Blickwinkel, welche Verluste und Lasten, vor allem durch Einquartierungen, Requirierungen und Zwangsarbeit damit für die Gau-Algesheimer verbunden waren.

Gleich nach der kampflosen Übergabe der Festung Mainz an General Custine 1792 mussten mitten im Winter auch Gau-Algesheimer zu Schanzarbeiten täglich vor Mainz erscheinen, und zwar bei Zahlbach. Man erhielt zwar 20 Kr. dafür, wer aber nicht pünktlich war, musste sich auf doppelte Arbeit gefasst machen.

Nach dem Abzug der Franzosen im Juli 1793 war die Stadt zwar wieder unter Kontrolle des Erzstiftes, aber schon im Oktober 1794 rückten wieder französische Heere über Bingen gegen Mainz vor. Mainz wurde zum zweiten Mal belagert und diesmal erfolgreich verteidigt (bis zu der Entsetzung der Stadt ein Jahr später).

Währenddessen mussten die Gau-Algesheimer nach Finthen, um an Schanzen zu arbeiten, täglich 25 Mann, und wenn einer fehlte, musste es der Schultheiß büßen. War ein Bürger nicht dazu imstande, so musste er einen Gulden und 30 Kronen in die Gemeindekasse zahlen.

Außer solchen Schanzarbeiten musste Bevölkerung auch häufig Waren liefern, Getreide, Stroh, Heu, Lebensmittel, bzw. den Gegenwert in Geld. Dadurch wurden die Lebensmittel im Ort selbst immer knapper. Auch Holzstämme mussten in großer Zahl unentgeltlich abgegeben werden. Trotzdem wurden die Einwohner auch mit starken Einquartierungen und Plünderungen durch Soldaten aus umliegenden Quartieren belastet. Manchmal versuchten die Verantwortlichen, die französische Militärführung durch Präsente günstiger zu stimmen.

Pferde und Ochsen wurden immer wieder zu Transporten requiriert, allerdings gegen Vergütung aus der Gemeindekasse, die sich deswegen immer mehr verschulden musste. Die Gemeinderechnungen sind im Stadtarchiv erhalten.

Durch die wachsende Not starben im Ort mehr Personen (103 bei gleichzeitig nur 31 Geburten) als bei der letzten großen Pestwelle von 1666. Der Schultheiß Heinrich Kaißer, der sich unaufhörlich für seine Gemeinde einsetzte, wurde mindestens dreimal von den Franzosen in Haft genommen, weil Gau-Algesheim angeblich Lieferungen oder Dienstleistungen nicht geleistet hatten. An diesen Strapazen und Misshandlungen ist er 1795 gestorben.

Nach dem Abzug der Franzosen am 1. November 1795 wurden nun Österreicher einquartiert, was mit neuen Belastungen verbunden war. Die Gemeinde musste deshalb das Hospital verpfänden. Im Sommer 1796 erschienen die Franzosen erneut zur dritten Belagerung von Mainz. Es gab immer wieder kleinere Kämpfe mit Reichstruppen; bevor sie Anfang Oktober das rechte Selzufer räumten, plünderten sie beide Ingelheim und brannten Schwabenheim weitgehend nieder.

Ende Oktober kam die Franzosen zurück, in der Umgebung von Gau-Algesheim fanden immer wieder Kämpfe statt, die noch bis 1797 andauerten, als sie durch den Frieden von Campo Formio beendet wurden. Die Österreicher zogen sich danach aus Mainz zurück, und die Stadt sowie das ganze linke Rheinufer wurden den Franzosen überlassen.

Durch deren Verwaltungsreform wurde Gau-Algesheim nun mit dem Kanton Ober-Ingelheim vereinigt. Die kurfürstlichen Beamten wurden entlassen und neue Maires (Bürgermeister), Adjuncten (Beigeordnete) und Municipalräte (Gemeinderäte) ernannt.


Die Gau-Algesheimer Maires:

- Quirin Ewen bis 1811,
- dann Valentin Kaiser und darauf
- Rudolph Eickemeyer, eine umstrittene Persönlichkeit:

Eickemeyer war zu Mainz geboren und kurmainzischer Ingenieur-Offizier und Professor der Mathematik zu Mainz, nahm 1792 bei der Übergabe der Festung Mainz an General Custine als kurfürstlicher Oberstlieutenant seinen Abschied, trat als Oberster in französische Dienste, wurde bald hernach General und kämpfte gegen seine deutschen Brüder. Anfangs dieses Jahrhunderts zog er sich nach Algesheim, wo seine Eltern begütert waren und zuletzt wohnten, ins Privatleben zurück, war eine Zeitlang Maire daselbst und wurde von 1815-20 Bürgermeister... (Brilmayer, Anmerkung 1 S. 104)

Auch in Gau-Algesheim wurde am 26.11.1792 von französischen Soldaten, nicht von Algesheimern, wie aus den 1983 im Würzburger Staatsarchiv wieder gefundenen Prozessprotokollen gegen die Gau-Algesheimer "Klubisten" hervorgeht, ein Freiheitsbaum aufgerichtet, der aber mit einer Absperrung vor den wiederholten Beschädigungen durch Bürger geschützt werden musste.

Gottesdienste durften im katholischen Gau-Algesheim zwar weiterhin abgehalten werden, aber alle Prozessionen und kirchlichen Leichenbegängnisse wurden verboten, ebenso wie das Tragen geistlicher Kleidung. Auch der "Bürger Pfarrer" musste nun die dreifarbige Kokarde tragen.

Aus den Jahren der napoleonischen Zeit berichtet Brilmayer nichts, außer von dem großen Stadtbrand 1811.

Ausführlicher wird er erst wieder für die Jahre 1813 und 1814, als die Franzosen wieder durch die Verbündeten vertrieben wurden. Er nennt diese Jahre "den Höhepunkt des Elends".

Zu den hohen Kriegssteuern, womit die Stadt und alle umliegenden Orte belastet waren, zu den häufigen Requisitionen kam noch, daß die kräftigsten Söhne des Volkes als Soldaten in die französische Armee eintreten, daß die Leute ihr Vieh und Fuhrwerk oft auf längere Zeit zum Transport des Militärs, der kranken Soldaten und der Kriegsmunition hergeben mußten, daß selbst die Armen von zahlreicher und kostspieliger Einquartierung nicht frei waren. (S. 106)

Täglich kamen französische Soldaten in traurigem Zustand durchgezogen, sie mussten verpflegt werden. Außerdem musste die Stadt täglich frisches Fleisch nach Mainz liefern sowie in das Militärhospital Bingen, wo zeitweise 1.200 Typhus-Kranke lagen, meist aber 500 - 600 Mann. Der Typhus, den die zurückflutenden französischen Truppen eingeschleppt hatten, führte auch unter der Gau-Algesheimer Zivilbevölkerung zu großen Verlusten.

Als die deutschen und verbündeten Truppen am 1. Januar 1814 den Rhein überschritten hatten, zogen die Franzosen zwar ab, aber es folgten nun die gegnerischen Soldaten, unter denen sich die Russen mit der größten Rücksichtslosigkeit auszeichneten.

In das Militärhospital in Nieder-Ingelheim (= heutige Saalkirche) mussten von Gau-Algesheim wiederholt Teppiche, Leintücher, Bettstellen usw. geliefert werden, Gau-Algesheimer Wein musste für die Tafel des deutschen Kommandanten Korf in Ober-Ingelheim geliefert werden. Auch die siegreichen Deutschen verlangten wieder Schanzarbeiten bei Finthen. Gau-Algesheim war die einzige Gemeinde des Kantons, welche vom Juni besagten Jahres (1814) bis zum Jahresende unausgesetzt mit Einquartierungen belastet war und in diesem Zeitraume 12.705 Mundportionen verabreichte. (S. 108)

Im folgenden Jahr ging es nicht viel besser, denn nun zogen wieder zurückziehende verbündete Truppen aus Frankreich durch, wurden einquartiert, mussten versorgt und transportiert werden. Auch diesmal waren - nach Brilmayer - die russischen Soldaten die unangenehmsten. Im Anschluss an die Darstellung dieser Zeit, die mit der Regierungsübernahme durch die hessische Regierung 1816 endet, druckt Brilmayer noch einen Bericht des Bürgermeisters und des Schöffenrats von 1816 an die neue Regierung ab, in dem die ungeheuren Belastungen der vergangenen Jahre summiert wurden. (S. 111-112)

Diese Darstellung Brilmayers, die 1883, also nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71, entstand, ist ein Beispiel für eine einseitig deutsch-national ausgerichtete Geschichtsschreibung, der der Modernitätsschub, den die napoleonische Zeit auch für Gau-Algesheim brachte, nichts bedeutete im Vergleich zu den Belastungen durch die Kriege zu Beginn und am Ende dieser Epoche (Geißler).


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Gs, erstmals: 25.12.05; Stand: 02.12.20