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Ein "Schießgraben" auf dem Gelände des ehemaligen Geismarschen Hofes

 

Autor: Hartmut Geißler
auf der Basis vieler erhaltener Dokumente aus dem Stadtarchiv, vor allem im Konvolut Rep. I/3813/


In vielen Auseinandersetzungen der Gemeinde Ober-Ingelheim mit den jeweiligen Besitzern oder Pächtern des (ehemaligen) Geismarschen Hofes ging es immer wieder um eine Wasserleitung, die auf diesem Gelände von einer ergiebigen Quelle oben an der Mauer in der Nähe des Nordturms (heute: "Casinoquelle") in einem alten Schießgraben an der Mauer entlang und da, wo die Mauer nach Süden umlenkt (Eingangstor zum Rosengarten), an den Häusern des Hofes vorbei nach unten verlief, um den Brunnen auf dem Markt zu speisen. Aus ihr läuft noch immer Wasser, das heute teilweise in den Graben am Seufzerpfad (außerhalb der Ortsmauer) geleitet wird und zum anderen Teil den neuen Drei-Figuren-Brunnen auf dem Marktplatz speist.

Der Schießgraben war offenbar ein Übungsgelände für die spätmittelalterliche Schützengilde, die es wie in vielen anderen Orten auch in Ober-Ingelheim gegeben haben muss. Dort wurde wahrscheinlich mit der Armbrust geübt. Auch andernorts - z. B. in Bingen-Büdesheim Straße "Im Schießgraben" - befanden sich solche Schießgräben in einem ohnehin vorhandenen Wehrgraben, wo es sicherer war, aber das Schießen dort auch realistischer, weil man Personen treffen wollte, die durch den Graben kommend die Mauern ersteigen wollten.

Nun aber liegt der Ober-Ingelheimer Schießgraben in einem Park (1817: "Baumgarten"), scheinbar innerhalb der Ortsmauer, an der außen der heutige Seufzerpfad entlangführt. Der Wehrgraben außen wurde aber nicht als Schießgraben verwendet. Wie kann man das erklären?

Eine Skizze über den Verlauf der umstrittenen Wasserleitung gibt Aufschluss über ihre Lage. Sie wurde 1817 im Zusammenhang von Differenzen zwischen der Gemeinde und dem damaligen Besitzer, einem Notar Steinem, angefertigt (Rep. I/3813/56).
 


Erläuterung der Skizze

Sie ist etwa nach Osten ausgerichtet, aber die Wehrmauer am Seufzerpfad (oberhalb) ist nicht mehr aufgenommen worden. Eingezeichnet wurde jedoch ganz oben rechts der sog. Nordturm mit der äußeren Kirchenmauer, diese rechts am Rand bis zu den Häusern (des ehemaligen Geismarschen Hofes und 1817 im Besitz von Notar Steinem), wo sie nach Süden umlenkt. Die von oben kommende Wasserleitung, teils unterirdisch in einem Steingewölbe, teils offen in einem "Sarg" in Holzröhren (!), verlief wahrscheinlich oben neben dem alten Wehrgraben, weiter unten an Steinems Haus vorbei und zur Straße hinab, der Kirchgasse, in die unten von links die Ringgasse mündet.

Dass die äußere Kirchenburgmauer von einem Graben umgeben war, ergibt sich auch aus dem Straßennamen "Grabengasse". Er wurde wohl im Norden und Süden, wo später die Ortsmauer an den beiden Türmen ansetzte (Malakoffturm und Nordturm), von dieser unterbrochen und muss danach zugeschüttet worden sein, sodass man Häuser darauf bauen konnte. Ihren nachträglichen Anschluss an den Nordturm kann man von außen gut erkennen.

Am unteren Ende der Skizze sind drei Grundstücke ("Loose") eingezeichnet, die damals versteigert werden sollten. Sie befinden sich an der Stelle, wo noch im 18. Jahrhundert ein altes Rathaus und ein "Tanz-, Fecht- und Schießhaus" standen (Promemoria Rep. I/3813/51). Dort übte und feierte anscheinend früher die Schützengilde, nicht weit von ihrem Schießgraben entfernt.

Wahrscheinlich nach dem Aufkommen der viel weiter reichenden Schusswaffen im 14. Jahrhundert wurde wohl allmählich dieser Schießgraben aufgegeben zugunsten eines neuen Schießgeländes weit außerhalb des Ortes, wahrscheinlich das Gelände des heutigen Schützenhauses (Forschungsbedarf). Dahin führte jedenfalls der eigentliche "Schützenpfad" (1812 so genannt), nämlich die Verlängerung der Hammergasse, die im unteren Verlauf zum heutigen Schützenhaus führt.

Im fürchterlichen 17. Jahrhundert mit seinen Kriegen und Pestwellen dürfte sich nicht viel mehr im Schießgraben und dem Schießhaus abgespielt haben.

Nach der Pfälzer Kirchenteilung 1707-09 jedoch wurde der katholischen Gemeinde von einem Baron von Horneck, wohnhaft in Bamberg, das alte Rathaus zu Gottesdiensten überlassen (geläutet wurde mit dem Glöckchen der Spitalkapelle) und das andere Mehrzweckhaus als katholische Schule. Beide waren aber schon so baufällig, dass sie bald abgerissen werden mussten und nur noch als Ruinenplätze vorhanden waren. Die endlich erbaute Kirche St. Michael stand für die Gottesdienste zur Verfügung und der Unterricht für die wenigen katholischen Kinder fand ab 1737 notdürftig im Haus des Lehrers Schöneck statt, bis 1824 die neue katholische Schule (heute Weingut Dautermann), wieder auf einem Grundstück der Familie von Horneck, erbaut wurde.

Ob das Dreiecksplätzchen aus Ring- und Kirchgasse in der Zeit des dortigen ältesten Rathauses auch als erster Marktplatz fungiert hat, ist nicht überliefert. Von ca. 1230 gibt es nur eine Notiz zu einer Bolandischen Stampfmühle "in foro" - auf dem Markt. Sie kann entweder dort oben oder am heutigen Marktplatz gestanden haben. Angetrieben wurde sie aber jedenfalls von Wasser, das reichlich vom Mainzer Berg durch den Wehrgraben an der Kirchhofmauer hinabfloss. Nicht mehr dort benötigt wurde sie wahrscheinlich, nachdem an der Selz mehrere, wohl leistungsfähigere Mühlen gebaut worden waren.

Das Quellwasser der Casinoquelle allein hätte als Mühlenantrieb nicht ausgereicht, so dass man mit diesen Zusammenhängen die schon mehrfach geäußerte Vermutung bekräftigen kann, dass die Ortsmauer erst einige Zeit nach der doppelten Kirchenumwehrung errichtet wurde, durch deren Graben das Wasser so lange vom Mainzer Berg herabfließen konnte, bis es im Spätmittelalter in den Flutgraben entlang dem Seufzerpfad umgeleitet wurde. Insofern hängen auch hier Wasserleitungsgeschichte, Mühlengeschichte und Befestigungsgeschichte miteinander zusammen.

 

Transkription des oberen Textes neben der Wasserleitungsskizze

„Erklärung der Zeichen

A Die erste Fassung der Hauptquelle, von wo an ein 5 Schuh hoher und 3 Schuh breites Gewölb anfängt, und bis zu B. forgeht; von da an ein 5 Schuh hohes und 3 Schuh breites Gewölb anfängt, und bis zu B forgeht, von da an aber die Röhren in den sogenannten Schießgraben unter der Erde fortlaufen bis an G. in einen Sarg, der in Grundriß im Plätzgen No. 1 mit a bezeichnet ist, von C bis D ist der beiläufig 3 Ruthen lange Theil, der vor H. Steinems Haus zugeworfen ist. E die ganze Länge des Steinemschen Hause nebst der daran stehenden Mauer und F der Ringmauerturm. Von B bis D und von da durch das Gebieth des Looses Nr. 1 bis an die Straße sind es beiläufig 17 Ruthen der Länge nach, um da am Ende oder auf der Kirchgasse eine Thüre anzubringen, um von da aus unterirdisch in dem zu machenden Gewölbe die Röhren und sonstige Wasserbehälter gehörig nachzusehn und unterhalten zu können, ohne in das Gebieth eines Privatmannes gehn zu müssen; es seye denn, um wirklich nöthige Arbeiten vorzunehmen, die Untersuchungen aber können und sollen nur unterirdisch, wo die Röhren und Quellen sind, gemacht werden.“

"Steinems Haus" bedeutet sowohl das Haus des Vereins Haus Burggarten als auch den Geismarschen Hof, die früher zusammengehörten.

Die Röhren der Wasserleitung werden vom Friedensrichter Kaiselreiter in seinem Bericht einmal "Deichelen" genannt, was Holzröhren bedeutet (Rep. I/3813/56).


Gs, erstmals: 08.01.21; Stand: 08.02.21