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Der Judenfriedhof im Nieder-Ingelheimer Saal


Autor und Fotos: Hartmut Geißler
unter Heranziehung der diesbezüglichen Archivalien im Ingelheimer Stadtarchiv: Rep II/1244, Rep. III, 12, 13, 14, 19, 21, 25, 138, 150.1, 161

sowie von
Meyer/Mentgen S. 515 ff.,
Clemen 1890 S. 66,
Duchhardt 1982.
der Informationstafel des Friedhofes
und http://www.alemannia-judaica.de/ingelheim_friedhof.htm (31.08.11)


Nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, der die Kurpfalz besonders in Mitleidenschaft gezogen hatte, bemühte sich Kurfürst Karl Ludwig (Kf. 1649-1680) um einen Wiederaufbau seines wiederhergestellten Landes und brauchte dafür sowohl Kapital als auch Bevölkerungszuzug (s. "Peuplierung"). Deshalb betrieb seine Regierung (ganz im Gegensatz zur gleichzeitigen Mainzer Regierung unter Kf. Johann Philipp von Schönborn) eine Politik, die auf Ansiedlung von Juden zielte (Duchhardt). Aufgrund dessen dürften sich damals jüdische Familien, die aus Mainz vertrieben wurden, auch im Ingelheimer Grund angesiedelt haben.

Eine ähnliche Situation trat in der Folge des Pfälzer Erbfolgekrieges (1688-1697) ein, der gleichfalls zu großen Zerstörungen und Bevölkerungsverlusten in der Kurpfalz führte. Insofern verfolgte die landesherrliche Erlaubnis (oder sogar Anordnung?), einen jüdischen Friedhof im Ingelheimer Saal anzulegen, wahrscheinlich einerseits das Ziel der Förderung des Aufbaus einer jüdischen Gemeinde. Auch in Heidelberg musste damals ein neuer Friedhof gesucht werden (Löwenstein S. 134). Andererseits war sie auch von fiskalischen Interessen geleitet, denn es musste für seine Anlegung ebenso wie für jedes Begräbnis eine Gebühr bezahlt werden (Hausmann, S. 30). Und da es in den kurmainzischen Nachbarorten Heidesheim und Algesheim schon jüdische Friedhöfe gab, versuchte die Heidelberger Regierung wahrscheinlich zu verhindern, dass die Bestattungsgebühren der im Ingelheimer Grund lebenden Juden in die kurmainzischen Kassen flossen, zumal der Algesheimer Friedhof nahe zu Ober-Ingelheim lag.

Für die Wahl des Grundstückes war die Anlage auf Pfälzer Grund und Boden, nämlich im Ingelheimer Saal, naheliegend, der seine Bedeutung als militärische Anlage seit dem 17. Jahrhundert verloren hatte und ungenutzte, verfallene Flächen aufwies, so das Grundstück der karolingischen Aula regia. Diese war als Gebäude während des 30jährigen Krieges zusammengefallen und lag als offene, ungenutzte Fläche da. Und weil man damals die historische Bedeutung dieses Ortes noch nicht wieder erkannt hatte (s. Reisebericht von Andreas Lamey von 1764), erhob wohl auch niemand historische Bedenken. Den Zugangsweg bildete der daneben liegende Zwinger (heute der "Jüdische Friedhof"), sodass der Trauerzug nicht durch den Saal selbst ziehen musste. Im Zugangsweg sind aber auch einige Bestattungen vorgenommen worden. Die Bewohner der alten Pfälzer Schaffnerei (Hardersches Haus) hatten ein Benutzungsrecht dieses ehemaligen Verteidigungsganges (Strigler 1883).

Der Friedhof im Saal wurde bis etwa 1836 für neue Bestattungen benutzt, als die jüdische Gemeinde (von Ober- und Nieder-Ingelheim zusammen) ein neues Friedhofsgelände in der Ober-Ingelheimer Hugo-Lörsch-Straße erworben hatte. Der jüngste von Klaus Dürsch entzifferte Grabstein stammt aus dem Jahre 1830 (Veith Uri Mayer). Danach wurde er nicht mehr gepflegt und entsprach immer weniger den Vorstellungen, die man sich mittlerweile von der ehemaligen Aula Karls des Großen machte.

Nach den ersten Grabungen von Paul Clemen im August 1888 einigte sich die Gemeinde Nieder-Ingelheim im Dezember 1888 mit der jüdischen Gemeinde, dass das Friedhofsgelände in Erinnerung an Karl den Großen zu einer Grünanlage umgestaltet werden durfte. Dabei wurde ausdrücklich die Schonung der vorhandenen Gräber zugesagt und eine Niveau-Erhöhung der Gräber ausgeschlossen. Vereinbarungen über die Kostenübernahme der dauernden Pflege dieser Grünanlage wurden aber nicht getroffen, was in der Folgezeit zu Kontroversen führte. Im April 1889 fanden weitere Grabungen von Clemen dort statt und von 1909-1914 durch Christian Rauch. Dabei wurden die Grabsteine aus der Aula regia in den Zugangsweg nach oben versetzt, wo sie vorerst blieben.

Von 1926 an ergaben sich erneute Konflikte um diesen ehemaligen Friedhof, weil die weltliche Gemeinde Nieder-Ingelheim die Kosten seiner dauernd nötigen Pflege ohne Eigentumsrecht nicht übernehmen wollte. Man einigte sich schließlich auf eine Kostenbeteiligung der jüdischen Gemeinde. Erst 1934, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, konnte sich die weltliche Gemeinde Nieder-Ingelheim mit ihrem Bestreben, das Grundstück zu erwerben, nach der Drohung mit einem förmlichen Enteignungsverfahren durchsetzen (3. Oktober 1934). Die "Verhandlungen" dazu fanden am 16. Oktober 1934 statt und die Eigentumsübertragung bestätigte das Amtsgericht in Bingen am 23. April 1935: "Fl. I Nr. 820 Todtenhof im Saal, 513 qm". Nach dem Gemeinderatssitzungsprotokoll ging man damals davon aus, dass es in der Aula regia keine Gräber mehr gab.

Seitdem ist die Stadt Ingelheim als Rechtsnachfolgerin von Nieder-Ingelheim Besitzerin sowohl des schmalen Streifens als auch des südlichen Teiles der Aula regia, die beide zu der Flur 820 gehörten.

Die Informationstafel enthält dazu folgende Skizze, die aus Unterlagen des Deutschen Burgen-Archivs in Braubach stammt, und zwar als Ausschnitt aus dem "Grundrissplan unbekannter Provenienz", der hier auch an derer Stelle besprochen wird:

Ganz links ist der Wehrgraben eingezeichnet, über den im Eingangsbereich des Saales (unten links) eine Brücke führte. Das ist die Stelle, an der heute die Straße "Im Saal" von der "Natalie-von-Harder-Straße" abzweigt. Sie durchquerte dann die beiden Mauern und setzt sich heute bis zu ihrer Mündung in die Heidesheimer Straße fort. Von ihr führt der jetzige Zugang zu dem Friedhof durch ein Eisentor (Schlüssel im Museum!). 

Dunkelgrau ist der Zugang zum ehemaligen Friedhof gefärbt, der sich an der westlichen Außenmauer der Aula Regia entlang zieht, die in die innere Wehrmauer integriert wurde, hellgrau der Bereich im südlichen Teil der Aula regia mit ihrer Apsis. Das Fragezeichen wurde fälschlich hineingesetzt, denn der Hauptteil des Friedhofs lag ja tatsächlich in der Aula regia. Im 19. Jshrhundnert wurde nur er als jüdischer Friedhof bezeichnet.

Im Zuge der Ausgrabungsarbeiten im Pfalzbereich und der Neugestaltung des Zuganges zur Aula Regia wurde der obere Friedhofsteil wiederhergestellt. Die Grabsteine, die in der NS-Zeit nach Ober-Ingelheim gebracht worden waren, wurden im Jahre 2002 wieder aus Ober-Ingelheim zurücktransportiert und hier aufgestellt, 23 von den ursprünglich 25 verzeichneten Gräbern von 1935. Der wiederhergestellte Friedhofsbereich lässt sich von Norden wie von Süden nur als langer Schlauch fotografieren, wobei im Nordbereich (1. Bild unten) diejenigen Grabsteine aufgestellt wurden, die keiner Grabstelle mehr zuzuordnen sind:

 

 

 

 

 

 

Diese Grabsteine stehen im hinteren Bereich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Blick vom Eingang her; beide Hausmauern bestehen z. T. aus altem Gestein: links aus dem letzten Teil der äußeren Zwingermauer und rechts aus der Wehrmauer, die die Außenmauer der Aula Regia verwendete.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So wie dieser Grabstein sind alle anderen Grabsteine dieses Friedhofes aus dem 18. und 19. Jahrhundert nur mit hebräischen Buchstaben beschriftet.