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Das Simultaneum und die Pfälzer Kirchenteilung

 

Autor: Hartmut Geißler
nach Steitz 1987, Hans 1972 und Flegel 2006

Zum Text der Religionsdeklaration von 1705

 

Nachdem 1685 mit Philipp Wilhelm ein Pfalzgraf der katholischen Linie Pfalz-Neuburg an die Regierung der Kurpfalz gelangt war, wurde von Düsseldorf aus, wo er anfangs residierte, eine zuerst vorsichtige Rekatholisierungspolitik in der überwiegnd reformierten Pfalz betrieben, die aber überlagert wurde vom Pfälzer Erbfolgekrieg, bei dem die französische Regierung militärisch eine Ausdehnung ihrer Macht bis an den Rhein betrieb. Die französischen Truppen, die damals auch den Ingelheimer Grund besetzt hatten, förderten ihrerseits die Rekatholisierung, indem sie den Katholiken eine Simultanbenutzung der reformierten Kirchen einräumten. Philipp Wilhelm starb 1690 in Wien.

Die folgenden kursiven Zitate stammen aus Flegel 2006.

Sein Sohn Johann Wilhelm (1658-1716; Kf. 1690-1716), nach dem väterlichen Vorbild von Jesuiten erzogen ... schwenkte in seiner Konfessionspolitik von einer anfänglichen, am väterlichen Vorbild orien-tierten Phase der gemäßigten Förderung seiner katholischen Konfession über zu einer schroff antiprotestantischen, genauer antireformierten Haltung...

Verstärkt wurde dies noch durch die mangelnde Präsenz Johann Wilhelms, der sich infolge der Zerstörungen des Pfälzischen (Erbfolge-)Krieges nach Düsseldorf zurückgezogen hatte und nun von den Informationen seiner kurpfälzischen Beamten abhängig war. Die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem Kurfürsten und seinen (reformierten) Untertanen verschärften aber noch die Mißverständnisse und Fehlinterpretationen auf beiden Seiten.

Schließlich bestimmte ihn seine tief verinnerlichte Katholizität zum Verteidiger seiner Konfession, der ganz selbstverständlich die Evangelischen - insbesondere aber die Reformierten - im Sinne des Tridentinums als häretisches Gegenüber einstufte, das nach Möglichkeit - nötigenfalls auch mit gegenreformatorischen Maßnahmen - zur katholischen Kirche zurückzuführen war. So wie er sich in diesem Punkt einig fühlte mit dem Habsburger Kaiser und dem französischen König, so glaubte er zugleich, sich - wie seine evangelischen Fürstenkollegen - auf das ius reformandi (das Recht der Landesherren, die Kirche in ihrem Territorium selbst zu reformieren; Gs) berufen zu können.

Im Friedensvertrag von Rijswijk 1697 zwischen dem Reich und Frankreich gab es auch eine Religionsklausel, die den Katholiken ihren vorherigen Rechtszustand zusicherte. Diese neue Rechtslage benutzte Johann Wilhelm, um sein konfessionspolitisches Ziel durch zusetzen: Die Begünstigung der katholischen Konfession bis zur Vorherrschaft in der Kurpfalz unter Zurückdrängen der reformierten Mehrheit.

Dabei schreckten der Kurfürst und seine Beamten auch nicht vor Militäreinsatz, Festungsstrafen und anderen Gewaltmaßnahmen zurück. Bei diesem Konflik ging es ja auch um sehr materielle Dinge, nämlich die Nutzung der Kircheneinkünfte für Pfarrer und Lehrer, nicht nur um die gottesdienstliche Nutzung der Kirchen. Um seiner katholischen Konfession wieder die Mitbenutzung ihrer früheren Kirchen zu sichern, erließ er am 26. Oktober 1698 das Simultaneumsedikt.

Während der Simultanerlaß den Katholiken endgültig den Zutritt zu den Kirchen und Friedhöfen des ganzen Landes verschaffte, löste der Erlaß zur Bildung der Administrationskommission die selbstständige reformierte Güterverwaltung auf und unterstellte die Kontrolle über die Kirchengüter einer staatlichen Behörde. Damit war die relativ autarke Stellung der reformierten Kirche endgültig beseitigt; sie hing nun auch in ihrem Finanzwesen von den Entscheidungen des Landesherrn ab. Ferner gab Johann Wilhelm nun auch dem jahrelangen Drängen der kuipfälzischen Lutheraner nach und gewährte ihnen die Einrichtung einer eigenständigen Kirchenbehörde (Konsistorium; 31. Oktober 1698) und die Beteiligung am reformierten Kirchengut. Verständlicherweise führte genau diese Maßnahme zu einer engeren Bindung der Lutheraner an ihren Landesherrn und einer spürbaren Entfremdung von ihrer reformierten Schwesterkonfession.

Daraufhin wandte sich der reformierte Kirchenrat an die evangelischen Stände in Regensburg und vor allem an den preußischen König Friedrich, also an ausländische Mächte, und bat sie um Hilfe gegen eine befürchtete weitere Katholisierung. Auch wenn Johann Wilhelm anfangs darüber äußerst empört war, änderte er später seinen Kurs:

Die folgende Konfessionsrechtsänderung war nämlich wieder durch die Außenpolitik bestimmt: Johann Wilhelm stand mit Brandenburg-Preußen auf der Seite der Habsburger in der Frage der spanischen Thronfolge gegen das mit Frankreich verbündete Bayern, dessen Kurwürde und die 1623 verlorene Oberpfalz Johann Wilhelm anstrebte. Deshalb war er nun bereit, dem Druck Preußens zugunsten der Reformierten in der Kurpfalz nachzugeben, und ließ lange Verhandlungen mit der preußischen Seite führen, die schließlich zur neuen und komplizierten Religionsdeklaration vom 21.11.1705 führten, in der alle offenen Fragen zwischen den Konfessionen mit der Zustimmung des preußischen Regierung gergelt wurden. Sie war also ein Produkt außenpolitischer Konstellationen und zeigte, dass Johann Wilhelm die Oberpfalz und die bayrische Kurwürde wichtiger waren als die Beibehaltung des strikten Rekatholisierungskurses.

Auf dem Fundament der Religionsdeklaration wurde unverzüglich eine „Teilungskommission“ gebildet, die sich aus den reformierten Kirchenräten Franz Daniel Heyles und Johann Ludwig Creutz und den katholischen Regierungsräten Nikolaus Quad und Christian Rittmeier zusammensetzte. Am 16. Mai 1706 begann sie ihre Teilungsarbeit, die bis zum Jahre 1708 im wesentlichen abgeschlossen war. Dennoch war es immer wieder notwendig, daß sowohl König Friedrich I. als auch Kurfürst Johann Wilhelm massiv, z. T. sogar mit Strafandrohungen eingreifen mußten, da es immer wieder Beamte und Geistliche gab, die sich den Teilungsprozeduren widersetzten. Erst die von Brandenburg-Preußen eingeleiteten Repressalien gegen die Katholiken von Magdeburg, Halberstadt und Minden beschleunigten die Durchsetzung der Religionsdeklaration.

Für die Gemeinden der heutigen Stadt Ingelheim bedeutete diese Kirchenteilung:

  • In Nieder-Ingelheim bekamen die Katholiken ihre alte Kirche St. Remigius mit Friedhof zur alleinigen Benutzung zurück (außer dem Kirchturm, der der weltlichen Gemeinde gehörte); die Reformierten mussten sich die Ruine der Saalkirche wieder aufbauen.
  • In Ober-Ingelheim konnten die Reformierten nun die ehemalige Kirche St. Wigbert (die spätere Burgkirche) nach einer Simultanbenutzung allein nutzen und die Katholiken mussten sich eine neue Kirche bauen: St. Michael. Die Lutherischen bauten sich ein kleines Gotteshaus am Neuweg 23.
  • In Wackernheim wurde die ehemalige Kirche St. Martin nun ganz den Reformierten überlassen und die Katholiken mussten sich die neue Kirche „Schmerzen Mariens" bauen
  • (Heidesheim gehörte nicht zur Kurpfalz, sondern zu Mainz und blieb katholisch.)
  • In Frei-Weinheim kam die im Dreißigjährigen Krieg abgebrannte Kirche St. Michael an die Katholiken, die sie sich 1760/62 neu erbauten. Die kleine reformierte Gemeinde war bis 1690 eine Filiale von Nieder-Ingelheim und man musste zu fast allen kirchlichen Veranstaltungen auch dorthin, in die (noch) reformierte Remigiuskirche, laufen (diagonaler "Kirchweg" - heute fast ganz verschwunden). Nach 1705 wurden die Reformierten bis ins 20. Jahrhundert von Ober-Ingelheim versorgt. Die sechs lutherischen Familien errichteten sich 1753 ein kleines Gotteshaus an der Dammstraße.
  • In Großwinternheim nutzten nach dem Simultaneum beide Konfessionen zuerst die Kirche St. Johannes Evangelist gemeinsam, bis sie bei der Kirchenteilung den Katholiken zugeteilt wurde. Die arme reformierte Gemeinde baute sich daraufhin 17040-1747 auf dem benachbarten Grundstück der ehemaligen Michaelskapelle ein einfaches Kirchlein, das erst 1888 durch die evangelische Kirche am neuen Friedhof abgelöst wurde.

Dass diese Aufteilung der Kirchen, der damit verbundenen Einkommen und Schulen sowie der Friedhöfe nicht ohne weitere Streitigkeiten ablief, kann man sich vorstellen.


Gs, erstmals: 17.01.20; Stand: 23.03.21