Autor: Hartmut Geißler
aus: Saalwächter, Andreas, Kleine Mitteilungen im Rheinhess. Beobachter, 5. Dezember 1920, auf die uns freundlicherweise Peter Weiland aufmerksam machte,
und: StA Ingelheim Rep. WH 60/15
Man beachte die Zeit der Veröffentlichung: Es war die Zeit, als deutsche Separatisten 1918/19 vergeblich versucht hatten, das Rheinland vom deutschen Reich zu trennen, und dabei von der französischen Besatzungsmacht unterstützt wurden. Diese Parallele schwebte Saalwächter sicher vor Augen.
Kurz zuvor (am 20. September 1920) war es in Ober-Ingelheim zu einem tödlichen Zwischenfall gekommen, als französische Soldaten in eine Menge schossen, die sich im Ober-Ingelheimer Haus Burggarten zum Kirchweihfest der Turngemeinde Ober-Ingelheim versammelt hatten, weil ihre eigene Turnhalle vom französischen 33. Fliegerregiment belegt war. Dabei wurde ein junges Mädchen aus Frankfurt, Elisabeth Kaiser, tödlich getroffen.
Der von Saalwächter genannte "Jakob" Derscheid war 112 Jahre zuvor Special-Commissair und Bezirksrat. Wahrscheinlich ist er identisch mit dem oft erwähnten Bezirksrat Philipp Derscheid (StA Rep I/3813/1). Von ihm befinden sich viele Rundschreiben im Stadtarchiv. Er war es auch wahrscheinlich, der in einem Pressebericht vom 17. Januar 1798 als der "Bürger Derscheid, der Jüngere" erwähnt wurde, der am Tag zuvor eine Rede beim Pflanzen des Freiheitsbaums hielt.
Saalwächter schrieb:
Zur Zeit der ersten französischen Republik, die das Departement vom Donnersberg begründete, war der Bürger Jakob Derscheid zu Ober-Ingelheim in dem gleichnamigen Kanton eine einflußreiche Persönlichkeit... Über das Leben Derscheids, der sich als überzeugter Republikaner mit Energie für die Durchführung der republikanischen Einrichtungen und Ideen in seiner Heimat einsetzte, ist so gut wie nichts bekannt. Zu seinem Freundeskreise gehörten wohl jene eifrigen Patrioten, die sich im Abmeißeln der Wappen an harmlosen Denkmälern, im Pflanzen von Freiheitsbäumen usw. hervortaten. Namentlich in Ober-Ingelheim waren sie eifrig am Werke.
Gelegentliche Nachforschungen nach dem Verbleib der Amtsregistratur Derscheids, die er nach allen Anzeichen sorgfältig geführt haben muß, waren bis jetzt ohne Erfolg. In den von ihm benutzten Briefbögen mit vor[ge]druckten Köpfen ist sein jeweiliger Amtscharakter bezeichnet. In der ersten Zeit heißt es: "Le commissaire du directoir exécutif près l'administration municipale du canton d'Oberingelheim", zu deutsch: "Der Beauftragte des ausführenden Direktoriums bei der Gemeindeverwaltung des Kantons Ober-Ingelheim". - Im Jahre 1803 ist der Briefkopf geändert. Es heißt nun: "Derscheid, conseiller de l'arrondissment communal de Mayence", gleich "Derscheid, Bezirksrat des Bezirkes von Mainz." In einem Schreiben vom 9. Juni 1806 ist die Titulatur von ihm ausgestrichen. Er versah wohl nicht mehr dieses Amt.
Derscheid muß ein Mann mit vielseitigen Interessen gewesen sein. Als Isaak Maus 1786 seine "Gedichte und Briefe" in Vorausbestellung herausgab, trug sich auch ein Jakob Derscheid von Ober-Ingelheim, wohl unser Bezirksrat, als Besteller ein...
Saalwächter schloss daran einen Aufruf, ihm ggf. überliefertes Material zu Derscheid zuzuschicken. Von einem Erfolg dieser Bitte ist nichts bekannt. Von einem Philipp Derscheid ist ein Grundstückskauf in jener Zeit bekannt.
Eine Quittung für seine Tätigkeit als "Special=Commissair" aus dem Repertorium von Wackernheim (StA ING Rep WH 60-15):
Nro. 16
Die Gemeinde Wackernheim zahlt Anheüte, drey Gulden als beitrag für Schreibmaterialien, welche in meinem Commissions= Bureau verbraucht worden sind.
OberIngelheim, d 15me Thermidor 9ten Jahr der Republik. ./. (= 3. August 1801)
___________
3 fl.-------
___________ Der bezircks = Rath,
___________ als Special = Commissaire
6 fr. 47 ct.
___________ Derscheid
Gs, erstmals: 14.07.16; Stand: 22.03.21