Otto Wedekind

 

Autor: Hartmut Geißler
nach: Petra Harth-Meyer, in: Meyer-Klausing, S. 598-619


Frau Harth-Meyer schließt ihren Beitrag über Otto Wedekind mit folgender Beurteilung:

„Aus einfachen Verhältnissen kommend, hatte Otto Wedekind sich schon früh in einem Sinne politisch engagiert, der ein umfassendes gesellschaftliches Pflichtverständnis offenbarte. Er identifizierte sich in einem hohen Maße mit der Arbeiterbewegung und blieb diesem Milieu auch in der Nachkriegszeit verhaftet. Sein Verhalten gegenüber dem Nationalsozialismus wurzelte in sozialistisch-demokratischen Überzeugungen, die ihn schon lange vor 1933 zu einem couragierten Gegner der erstarkenden nationalsozialistischen Bewegung gemacht hatten. Die erlittene Haftzeit nötigte ihn nach außen zur politischen Abstinenz, intern suchte er den Anschluss an die Kreise des Widerstands. Aufgrund der mangelhaften Quellenlage lassen sich über den Grad seiner Beteiligung keine näheren Angaben mehr machen. Wedekind zählte aber wohl zu dem äußerst kleinen Kreis jener Ingelheimer, die zum Bereich des politischen Widerstands gezählt werden dürfen.“


Im Jahre 1898 als einziger Sohn eines freireligiösen Ober-Ingelheimer Küfermeisters geboren, wurde Otto Wedekind ebenfalls in diesem Handwerk ausgebildet. Im Ersten Weltkrieg erlitt er in Frankreich eine schwere Verwundung.

Zehn Jahre lang arbeitete er als Küfer im Weingut Neus und machte sich nach seiner Entlassung 1928 (Weltwirtschaftskrise) mit einer kleinen Gastwirtschaft selbständig. Im folgenden Jahr verkaufte er das Elternhaus und baute mit Krediten eine neue größere Gastwirtschaft mit Saalbau im Ober-Ingelheimer Hornweg. Er selbst nannte sie "Am Lindenberg", aber die Nationalsozialisten benannten sie 1935 in "Burg Horneck" um, wie sie bis heute (2021) heißt.

Diese Gastwirtschaft und ihr Saalbau wurden in den nächsten Jahren zum Treffpunkt der Ingelheimer Sozialdemokraten und ihrer Sport- und Gesangvereine. Denn politisch hatte sich Otto Wedekind nach einer kurzen Zeit bei der KPD (1923) der SPD angeschlossen und wurde 1928 der Vorsitzende der Ober-Ingelheimer Sozialdemokraten, nachdem er schon 1924 zum Kreisvorsitzenden des demokratischen Schutzbundes "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" gewählt worden war. Ab 1925 wurde er wiederholt in den Ober-Ingelheimer Gemeinderat gewählt. Vergebens setzte er sich immer wieder gegen das Aufkommen des Nationalsozialismus ein.

Mit einer solchen politischen Laufbahn gehörte er natürlich für die Nationalsozialisten zu demjenigen Personenkreis, den sie nach ihrer Machtergreifung 1933 möglichst schnell und nachhaltig auszuschalten versuchten. Deshalb wurde er kurz nach der Reichstagswahl im März 1933 durch auswärtige SA- und SS-Leute verhaftet, misshandelt und ins Polizeigefängnis in Darmstadt eingeliefert. Er wurde zwar wieder entlassen, aber gehörte danach schon nicht mehr zu den drei SPD-Mitgliedern des nach der Gleichschaltung für eine Übergangszeit neu zusammen gesetzten Gemeinderates.

Trotzdem sah er sich weiteren Verfolgungen ausgesetzt, denn am 7. September 1933 wurde er erneut verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis in Mainz eingeliefert. Ihm wurde die Unterschlagung eines Kredites der Ortskrankenkasse, deren nebenamtlicher Rechner er gewesen war, vorgeworfen. Sein Haus und die Gastwirtschaft wurden durchsucht, viel Material der SPD und ihrer Vereine beschlagnahmt, aber einige Unterlagenkonnten noch versteckt werden.

Auch der Ober-Ingelheimer Gemeinderat setzte eine Untersuchungskommission zu diesem Vorwurf ein, der u. a. Hermann Berndes angehörte. Wedekind wurde zwar am 20. Dezember 1933 wieder aus der Untersuchungshaft entlassen, aber im folgenden Jahr zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt, von der die drei Monate Untersuchungshaft abgezogen wurden. Die restlichen neun Monate Haft musste er 1935 absitzen.

Danach enthielt er sich - jedenfalls öffentlich - jeder politischen Betätigung, die Nazis hatten also ihr Ziel erreicht. Er schien sich sogar dem NS-Regime anzupassen, sein Sohn trat der Hitlerjugend bei und er selbst 1940 der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Im Saalbau seiner Gaststätte wurden ab 1940 kroatische Arbeiterinnen untergebracht, die bei Boehringer arbeiteten.

Noch einmal wurde er 1943 in ein Gerichtsverfahren verwickelt wegen angeblicher Beamtenbestechung und "Zuwiderhandlung gegen die Verbrauchsregelungsstrafverordnung" und zu einem Jahr Gefängnis sowie zur Zahlung von 400 RM verurteilt. Vier Wochen musste er als verschärften Arrest absitzen, die restliche Zeit wurde bis nach dem Krieg ausgesetzt. Diese mit Kriegsbeginn vom Reichstag erlassene Verordnung trug den vollen Titel „Verordnung über Strafen und Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse (Verbrauchsregelungsstrafverordnung)“. Es ging darin um Rationierungsvorschriften der Kriegswirtschaft, deren Einhaltung vielen Personen, nicht nur Gastwirten, manchmal sehr schwer fiel. Unter Berufung auf Verstöße dagegen konnten missliebige Personen denunziert und in Gefängnisse bzw. KZs gebracht werden.

Nach dem Kriege wurden beide Gerichtsverfahren wieder aufgenommen, und Otto Wedekind wurde im ersten Fall wegen erwiesener Unschuld frei gesprochen, und ihm zweiten Fall wurde das Verfahren eingestellt.

Aus der Zeit der Naziherrschaft und des Krieges sind keine Aktivitäten Wedekinds bekannt geworden, die auf eine aktive Betätigung im "Widerstand" schließen ließen. Es wäre aber auch geradezu selbstmörderisch gewesen, wenn er im dörflichen Ingelheim, wo fast jeder jeden kannte, versucht hätte, Widerstandsstrukturen aufzubauen. Nach dem Krieg allerdings wurde Wedekind von Jakob Steffan, einem Verbindungsmann zu Wilhelm Leuschner, der nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, unter die "tausend zuverlässige[n] Männer" im Main-Neckar-Gebiet gezählt (Meyer, S. 490). Möglicherweise hielt Wedekind also insgeheim Kontakte zu früheren Gewerkschaftern oder wurde von Organisatoren des Attentates zumindest für jemanden gehalten, der in Ingelheim nach einem geglückten Umsturz Führungsfunktionen hätte ausüben sollen. Leider kam es nicht dazu.

Nach dem Krieg nahm Otto Wedekind seine Tätigkeit für die SPD erfolgreich wieder auf, wurde offiziell als "Opfer des Faschismus" anerkannt und erhielt Entschädigungen.

Im Zivilprozess der Witwe von Hermann Berndes von 1955 sagte Wedekind zur Rolle von Berndes in der NS-Zeit aus:

"Ich kenne den Herrn Berndes schon seit früher, da ich gebürtiger Ober-Ingelheimer bin. Mir ist nicht bekannt, dass Berndes vor der Machtübernahme einer politischen Partei angehört hat. Er galt als ein Anhänger der nationalen Verbände. Ich habe auch einmal gesehen, dass er mit seinem Lastwagen zum Deutschen Tag nach Kaub gefahren ist, ich glaube es war 1922. Nach der Machtübernahme kam Berndes in den neukonstituierten Gemeinderat von Ingelheim. Ich weiß selbst nicht, ob er der NSDAP angehört hat. Ich nehme aber an, dass er den Nat. Soz. bejahte, sonst wäre er wohl nicht in den Gemeinderat gekommen. Ich meine, Herr Berndes habe eine führende Rolle gespielt. Dies war auch bedingt durch seine Persönlichkeit. Er war ein angesehener Geschäftsmann, von seriösem Aussehen und eindruckerweckendem Gebaren. Andererseits war es nicht so, dass Herr Berndes für die nat. soz. Partei etwa in Versammlungen oder sonstwie geworben hat. Mir ist nichts davon bekannt, dass Herr Berndes sich jemals feindselig gegen Juden verhalten hat." (Geißler, Neue Erkenntnisse, S. 22/23).

Er entlastete - wie andere auch - also Hermann Berndes von dem Vorwurf, ein engagierter Nationalsozialist gewesen zu sein, und sagte sogar aus, dass er gar nicht wisse, ob er überhaupt NSDAP-Mitglied gewesen sei. Insbesondere machte er ihm auch keine Vorwürfe wegen seiner Teilnahme am Untersuchungsausschuss gegen ihn.

Otto Wedekind starb am 3. März 1965.

 

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Gs, erstmals: 26.11.13; Stand: 26.03.21